Kenne deine Rechte

Mit Kreide gegen sexuelle Belästigung


„The act of shouting harassing and often sexually suggestive, threatening, or derisive comments at someone publicly”1 – das ist eine Definition des sogenannten „Catcalling”. Sie bezeichnet verbale Belästigung durch Hinterherrufen bestimmter unangebrachter Äußerungen; oft handelt es sich dabei um anzügliche Kommentare, sexuelle Anspielungen oder Bemerkungen zu Aussehen und Körper. Die anti-sexistische Plattform „Catcalls of Graz“ setzt sich dagegen ein. Stellvertretend für die Initiative stand Stefanie Rauch Kenne deine Rechte für ein Interview zur Verfügung.

Kenne deine Rechte: Mit Catcalls of Graz macht ihr im Rahmen von „Chalk Back“-Aktionen auf sexuelle Belästigung aufmerksam – das heißt, ihr dokumentiert die euch zugesendeten Geschichten mit Kreide am Platz des Geschehens. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Catcalls of Graz: In New York City hat sich erstmals die Initiative “Catcalls of NYC”2 gegründet, die ziemlich schnell weltweit Anklang gefunden hat. So wurde unsere Gründerin, Sarah Kampitsch, darauf aufmerksam und hat das Projekt in Graz gestartet. Mittlerweile schaukeln wir das mit Stefanie Rauch und Anna Majcan zu dritt und sind mit den vielen anderen Gruppen in Österreich gut vernetzt.

Kenne deine Rechte: Was macht das Projekt notwendig?

Catcalls of Graz: Die Nachrichten, die wir täglich zugeschickt bekommen. Es sind so viele Menschen, die mit uns erstmals teilen, was ihnen widerfahren ist. Dieses Vertrauen ermöglicht unsere Arbeit gegen den allgegenwärtigen Sexismus, der uns zeigt, dass feministische Forderungen noch lange nicht der Vergangenheit angehören. Der öffentliche Diskurs darüber, was “man heute überhaupt noch sagen darf”, ist wichtig, wenn auch manchmal unangenehm. Wir wollen diese Debatte lostreten und die Gesellschaft dazu animieren, ihr angelerntes objektifizierendes Verhalten zu reflektieren.

Kenne deine Rechte: Was muss in unserer Gesellschaft und in der Politik passieren, um sexuelle Belästigung in Graz, in Österreich und allgemein zu stoppen?

Catcalls of Graz: Gesellschaftlich vor allem das Überdenken der eigenen Verhaltensmuster. Muss ich einer Person, die mir gefällt, wirklich nachpfeifen? Oder spreche ich sie vielleicht lieber mit einem “Hallo” an und stecke ab, ob überhaupt beiderseitiges Interesse besteht? Diese Frage hat sehr viel mit Respekt und Einsatz von (patriarchaler) Macht zu tun. Wichtig ist auch, dass wir Zivilcourage zeigen und Menschen, die gerade belästigt werden, aus der Situation helfen und nicht wegschauen. Politisch braucht es leider immer Verbote für unangemessenes Verhalten – anders sind wir offenbar nicht lernfähig. In Deutschland gibt es bereits eine Petition, die fordert, dass Catcalling strafbar sein soll. Generell braucht es von politischer Seite mehr Aufmerksamkeit für solche Themen und mehr Umsetzung, immerhin hat Österreich bereits 2013 die Istanbul-Konvention ratifiziert, die der Verhütung und Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen dienen soll.

Kenne deine Rechte: Wie reagiert man am besten auf Catcalls? Sich wehren oder lieber ignorieren und weitergehen?

Catcalls of Graz: Dafür gibt es leider kein Allheilmittel. Wer sich sicher fühlt und die Energie hat, kann Catcaller:innen direkt adressieren. “Kannst du mir erklären, was du da gerade gesagt hast?” wurde von unserer Community bereits empfohlen – trifft oft auf Verlegenheit. Zu benennen, was gerade passiert ist, kann auch hilfreich sein, damit andere aufmerksam werden. “Hör auf, mich zu belästigen” zum Beispiel. Ob konfrontieren oder nicht, hängt immer vom eigenen Bauchgefühl ab! Wenn die Situation kritisch ist oder Mensch sich nicht wohl fühlt dabei, ist Wegschauen und Vorbeigehen genauso richtig.

Immer noch Thema

Ein Blick auf die Social Media Seiten von Catcalls of Graz genügt um zu sehen, dass sexuelle Belästigung im so oft als progressiv gepriesenen Österreich noch immer Thema ist. Das Ankreiden an öffentlichen Plätzen ist ein wichtiger Beitrag zur Schaffung eines Problembewusstseins. Sexuelle Belästigung passiert aber auch hinter verschlossenen Türen: am Arbeitsplatz, in der Schule, im Verwandtenkreis. Egal wo, Catcalling ist immer eine Machtdemonstration und Catcaller:innen vermitteln damit, dass sie Verfügungsgewalt über das Opfer hätten. Nicht selten als harmlose Meldung oder sogar Kompliment abgetan, trauen sich viele Betroffene nicht, es anzusprechen.

Beispiel für Catcalling (Quelle: https://www.facebook.com/ catcallsofgraz/photos/309954194188154)

Wohin kann man sich wenden?

Nicht alle finden –aus Angst vor möglichen Reaktionen – den Mut, Catcaller:innen zur Rede zu stellen. Gefühle der Hilflosigkeit tragen dazu bei, dass Betroffene nicht wissen, wie sie mit dem Vorfall umgehen sollen. Meist ist es wohl am einfachsten, zuerst mit Freund:innen oder Familie darüber zu sprechen. Gemeinsam kann überlegt werden, wie reagiert werden soll. Hilfreich kann es auch sein, im Fall des Falles die Einzelheiten zu notieren und damit lieber früher als später zur Polizei zu gehen. Fühlt man sich wohl damit und will helfen, darauf aufmerksam zu machen, kann man das Erlebte auch per Facebook, Instagram oder E-Mail oder an Catcalls of Graz senden, die es dann „ankreiden“. Das gibt Hoffnung und zeigt: Du bist nicht allein! Nur gemeinsam können wir sexuelle Belästigung bekämpfen.

Kenne deine Rechte bedankt sich bei Stefanie Rauch für das Interview und wünscht weiterhin viel Erfolg bei der so wichtigen Arbeit!

Chalk Back-Veranstaltung am Grazer Hauptplatz (Credits: Barbara Majcan Photography)

Quellen

1 https://www.merriam-webster.com/dictionary/catcalling

2 https://www.chalkback.org/

Social Media von Catcalls of Graz:

Instagram: https://www.instagram.com/catcallsofgraz/

Facebook: https://www.facebook.com/catcallsofgraz/

Weitere Artikel:

http://www.annenpost.at/2020/11/25/catcalls-of-graz/

https://futter.kleinezeitung.at/catcalls-richtig-reagieren/

Chalk Back-Veranstaltung am Grazer Hauptplatz (Credtis: Barbara Majcan Photography)

 

Bildnachweis:

Titelbild für Artikel: Credits: Barbara Majcan Photography

 


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