Kenne deine Rechte

Die Schwurbler und die Meinungsäußerungs-freiheit


Wer kennt sie nicht, die selbsternannten Wahrheitsbringer:innen unserer Zeit? Populistische Politiker:innen, Esoteriker:innen, der ein oder andere Koch – sie alle wollen uns weißmachen, dass die Menschen endlich „aufwachen sollen“ – denn Bill Gates und die internationale Impfmafia wollen uns und unseren Kindern mit 5G-Chips ja den Tod bringen oder uns zumindest unserer persönlichen Freiheit berauben. Fakt ist, soziale Netzwerke werden zunehmend von Fake News, abstrusen Verschwörungstheorien und Hassreden gegen Andersdenkende geflutet. Die Autor:innen derartiger Postings berufen sich bekanntermaßen gerne auf die Meinungsäußerungsfreiheit – manchmal sogar auf die Kunstfreiheit –, um mögliche negative Konsequenzen von sich abzuwenden. Doch ist das wirklich so einfach?

Das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung

Das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung ist eines der zentralsten bürgerlichen und politischen Rechte, die wir kennen. Eigentlich besteht dieses Recht aus mehreren Elementen: Die individuelle Meinungsfreiheit ermöglicht es uns einerseits, uns eine eigene Meinung bilden zu können (Meinungsbildungsfreiheit) und andererseits diese eigene Meinung dann auch zu äußern (Meinungsäußerungsfreiheit). Zusätzlich wird von diesem Recht auch die Informations- und Medienfreiheit umfasst. Im Folgenden soll hier jedoch auf die Meinungsäußerungsfreiheit eingegangen werden, wie sie etwa in Art 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt wird. Sie gilt nach Art 10 EMRK für „Nachrichten“ und „Ideen“ und beschränkt sich nicht auf bestimmte Ausdrucksmittel: Sowohl die sprachliche Mitteilung durch Stimme und Schrift als auch die symbolische Mitteilung, etwa durch Gestikulation, sowie künstlerische Inszenierungen, Fotografien oder das Tragen einer bestimmten Kleidung fallen in den Schutzbereich dieses Rechts.

Fake News und Verschwörungstheorien

Unter der Bezeichnung „Fake News“ versteht man falsche Tatsachen, die als journalistische Nachrichten getarnt und so verbreitet werden. Es soll der Eindruck entstehen, dass diese falschen Behauptungen sorgfältig recherchiert wurden und somit verlässlich sind. Fake News wiederrum können die Basis für Verschwörungstheorien darstellen. Hierbei handelt es sich um die Überzeugung, dass bestimmte Ereignisse oder Situationen, wie etwa Naturkatastrophen oder die COVID 19-Pandemie, nur deshalb eingetreten sind, weil im Hintergrund geheime Mächte oder elitäre Gruppen das Geschehen negativ beeinflusst haben. Sie locken starke Gefühle wie Abscheu, Ekel und Hass gegenüber „den Bösen“ hervor, um logisches Denken auszuhebeln. Die narrative Struktur, so meint Pädagoge Jörg Kapeller, folgt oft einem Muster: „Es gibt ein Geheimnis, Drahtzieher:innen, den „großen Beweis“, Prophet:innen und Aufdecker:innen“.[1] Bekannte Beispiele sind etwa die Unterwanderung der Menschheit durch reptilienartige Außerirdische (Reptiloide, auf Englisch „lizard people“), welche wichtige Positionen in Politik und Wissenschaft besetzen, sowie der Mythos, dass es sich bei den Kondensstreifen von Flugzeugen eigentlich um Chemikalien handelt, die Menschen vergiften und oder beeinflussen sollen (Chemtrails).

Was sagt der österreichische Gesetzgeber?

Die österreichische Rechtsordnung sieht für die Verbreitung von Verschwörungsmythen und Fake News derzeit keinen eigenen Tatbestand vor. Interessanterweise gab es mit dem § 276 StGB[2] ab 2002 bereits eine Norm, welche die „Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte“ unter Strafe gestellt hat. Ende 2015 wurde die Bestimmung als totes Recht[3] angesehen und schließlich aufgehoben. Mit der ständigen Verfügbarkeit von Informationen seien „Gerüchte“ nicht mehr geeignet, „einen großen Personenkreis zu beunruhigen“ – dachte man zumindest. Das Aufkommen von Fake News war schlicht und einfach nicht absehbar, äußerten sich dazu Expert:innen.[4]

Spätestens seit der Handyside-Entscheidung[5] des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) steht fest, dass das Recht des Art 10 EMRK nicht nur Meinungen umfasst, die als harmlos, unproblematisch oder unwichtig angesehen werden.  Auch Informationen oder Ideen, die „den Staat oder irgendeinen Teil der Bevölkerung verletzten, schockieren oder beunruhigen“ sind geschützt. Das Recht der freien Meinungsäußerung stellt nämlich den Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft dar, zu der Vielfalt, Toleranz und Aufgeschlossenheit zählen. Es ist eine Existenzvoraussetzung für den Fortschritt der Demokratie und die Entfaltung eines jeden Einzelnen. Hieraus ergibt sich einerseits, dass jede „Formvorschrift“, „Bedingung“, „Einschränkung“ oder „Strafdrohung“ in einer verhältnismäßig angemessenen Weise zum verfolgten rechtmäßigen Ziel stehen muss. Andererseits, so schreibt der EGMR, treffen jeden, der sein Recht auf freie Meinungsäußerung ausübt, ebenso „Pflichten“ und „Verantwortung“.

Nur weil die Verbreitung von Verschwörungstheorien und Fake News an sich nicht automatisch einen (Straf)Tatbestand erfüllt, bedeutet das jedoch nicht, dass die verantwortlichen Personen keinerlei rechtliche Konsequenzen zu befürchten haben. Vielmehr muss man je nach Inhalt der Äußerung differenzieren. Möglich wäre etwa die Erfüllung eines Tatbestandes nach dem Verbotsgesetz oder nach dem Strafgesetzbuch (insbesondere etwa Verhetzung, Üble Nachrede, Verleumdung, Gefährliche Drohung uvm.). Es ist nämlich so, dass Fake News und Verschwörungstheorien zum Teil mit Hassrede (auch genannt Hate Speech) verknüpft werden, also Äußerungen, die zu Hass anstiften, verhetzen und/oder für bestimmte Gruppen verletzend oder beleidigend sind.  Hier ist das rechtliche Handhabe generell größer.

Rote Linien

Bei einer besonders schwerwiegenden Form von Hassrede verhindert das allgemeine Missbrauchsverbot des Art 17 EMRK in Ausnahmefällen, dass sich Täter:innen auf die Meinungsäußerungsfreiheit berufen können. Besonders eindeutig sind die Entscheidungen in jenen Fällen, in denen Verbrechen des Nationalsozialismus (NS) geleugnet, verharmlost oder gar die Wiedererrichtung des NS-Staates gefordert wird. Der EGMR verweigert eingefleischten NS-Autor:innen, die sich auf die Meinungsfreiheit berufen, den Rechtschutz als Ganzes. Dies tut er mit dem Argument, dass der Missbrauch der Meinungsfreiheit mit Demokratie und Menschenrechten unvereinbar sei und die Rechte anderer verletzt.

Ist es nun also wirklich so einfach?

Generell bleibt nur zu betonen, dass das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung eben nicht grenzenlos gilt und auch eine offene Gesellschaft nicht jede „Meinung“ dulden muss. An dieser Stelle soll auf die Theorie des „Toleranz-Paradoxons“ nach Karl Popper verwiesen werden. Laut der Definition des österreichisch-britischen Philosophen gelten diejenigen Menschen als intolerant, die Andersdenkenden entweder Gewalt androhen oder diese gar ausüben und nicht zuletzt auch die Menschen, die den rationalen Diskurs verweigern. In seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ aus dem Jahr 1945 schreibt Popper: „Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“

Quellen

[1] ARGE Jugend (Hrsg), Verlockung Verschwörungstheorie. Wahrheitsfindung im Spannungsfeld von Akt und Fiktion (6.12.2021), online verfügbar unter https://www.argejugend.at/2021/12/verlockung-verschwoerungstheorie-wahrheitsfindung-im-spannungsfeld-von-fakt-und-fiktion/ [13.12.2021].

[2] BGBI I 130/2001; online abrufbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/NormDokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002296&FassungVom=2015-09-25&Artikel=&Paragraf=276&Anlage=&Uebergangsrecht= [28.12.2021].

[3] Unter dem Begriff „totes Recht“ versteht man Rechtsnormen, die für die Praxis unbedeutend sind, da sie nie oder in nur sehr seltenen Fällen angewendet werden. Damit Gesetze, wie im vorliegenden Fall das StGB, nicht zu umfassend und unübersichtlich werden, finden immer wieder sogenannte „Rechtsbereinigungen“ statt. Hier scheiden Normen, von denen man annimmt, dass sie veraltet und unbrauchbar sind, aus der Rechtsordnung aus.

[4] Oberlaber, Fake News und der Ruf nach dem Strafrecht, in Hense-Lintschnigg/Sagmeister/Voithofer/Wöckinger (Hrsg), juridikum Heft 2 vom 1.6.2017, 160.

[5] EGMR U 7. 12. 1976, Handyside, Nr 5493/72.


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