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Kinderhandel in Europa – Ein übersehenes Problem


Obwohl die EU nur 5,6% der Erdbevölkerung ausmacht, leben hier 28% der Kinder, die weltweit dem Kinderhandel zum Opfer fallen. Auch wenn diese Zahl durch eine bessere Aufdeckungsrate in der EU erklärbar ist, muss man dieses Thema mehr ins Bewusstsein der Menschen rufen, denn diese Kinder leiden massiv.[1] Eine erschütternde Bestandsaufnahme.

34% der Opfer in Europa sind aus Rumänien, Albanien und Bulgarien[2]

„Kinder, die zu Bettelei, Prostitution oder Kleinkriminalität gezwungen werden, sind Opfer von Kinderhandel“, sagt Julia Planitzer vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Grund- und Menschenrechte (LBI-GMR) über den Kinderhandel in Österreich.[3] Kinderhandel in der EU findet auf zwei Arten statt. Einerseits gibt es kleine Gruppen aus fünf oder weniger Täter:innen, die Kinder zur Prostitution zwingen. Diese Gruppen bestehen oft aus Männern und Frauen, die entweder miteinander in einer Beziehung oder verwandt sind. Frauen sind meist verantwortlich für das Recruiting sowie den Geldtransfer und arbeiten oft auch selbst als Prostituierte. Männer kümmern sich um den Transport und die Unterkunft der gehandelten Kinder. Oft üben sie auch die physische Kontrolle über die Kinder aus, indem sie diese schlagen oder in der neuen Unterbringung einsperren. Jüngere Männer versprechen ihren Opfern oft eine romantische Beziehung und zwingen sie über diese entstehende emotionale Abhängigkeit in die Prostitution oder ähnliches (Lover Boy-Methode). Andererseits gibt es Familienclans, die oft in verschieden Ländern agieren und aus größeren Gruppen bestehen. Sie benutzen oft ihre eigenen Kinder, Kinder von Verwandten und adoptierte Kinder, um sie zum Beispiel zu prostituieren. Oft werden sie auch gezwungen, zu betteln oder Verbrechen, wie Diebstahl oder Raub, zu begehen. Eine weitere Form des Kinderhandels verfolgt das Ziel, die Kinder als Arbeitskräfte auszunützen. Diese Kinder werden durch die Lover Boy-Methode rekrutiert oder von ihrer Familie an Kinderhändler:innen verkauft, um Geld zu bekommen oder Schulden zu begleichen. Viele Kinder, die Opfer von Kinderhandel wurden, arbeiten auf einer Landwirtschaft weit weg von Städten und relativ abgeschottet vom Rest der Welt.

Was das Geschlecht ausmacht

Bei Fällen die Europol behandelte, waren in Netzwerken, wo nicht exklusiv mit Minderjährigen gehandelt wurde, 60% der minderjährigen Opfer weiblich, während 68% der TäterInnen männlich. In Netzwerken, die ausschließlich Handel mit Minderjährigen betreiben, waren laut Europol 63% der Opfer und 88% der Täter:innen männlichen Geschlechts. Wie bereits erklärt, gibt es im Kinderhandel für die Täter:innen eine klare Rollenzuteilung basierend auf ihrem Geschlecht. Frauen tendieren dazu, dass Recruiting zu machen. Männer sind meist für die Logistik verantwortlich. Eine Ausnahme dafür findet sich in Nigeria.1 Hier führen sogenannte Madams[4] (in Nigeria auch Mamans genannt) die verschiedenen Zellen und Organisationen, die mit Kindern handeln, meist selbst und übernehmen auch alle Kernaufgaben. Die Prozentzahl an weiblichen Täterinnen ist beim Kinderhandel höher als bei anderen Verbrechen.1

Als Beispiel führt die UN an, dass etwa in den Niederlanden allgemein 12% der Verurteilten weiblich sind, während beim Kinderhandel 18% der Verurteilten weiblich sind. Teilweise sind extremere Werte festzustellen, wie zum Beispiel in Lettland, wo 9% der allgemeinen Verurteilten und 53% der Verurteilten wegen Kinderhandels weiblich sind. Dabei muss angemerkt werden, dass diese Daten bereits alt sind (2003-2006) und eventuell die aktuelle Lage nicht mehr repräsentieren. Sowohl der ältere UN-Bericht als auch der neuere Europol-Bericht merken an, dass weibliche Opfer in einigen Fällen selbst zu Täterinnen wurden.1,[5] Einstige Opfer, die später zu Täterinnen werden, machen das unter anderem, um Schulden an ihre eigenen Händler:innen zurückzuzahlen.5  

Von Nigeria nach Europa

Eine der Hauptrouten des Kinderhandels verläuft von Afrika nach Südeuropa: die große Mehrhait (64%) aller Opfer in Europa sind aus Nigeria2. Von dort geht es unter anderem weiter nach Österreich. Die Organisationen in Nigeria haben keine Hierarchie, sondern sind in Zellen aufgespalten, sodass, wenn eine von der Polizei aufgedeckt wird, die anderen problemlos weiterarbeiten können. Oft werden Mädchen von Frauen (Mamans) angesprochen und die Täterin versucht, das Opfer von einem gut bezahlten Beruf zu überzeugen. Die angelockten Kinder werden oft geschmuggelt. Wenn sie über die Grenze gelangt sind, werden sie unter anderem gezwungen, über ihr Alter und ihr persönliches Leben zu lügen. Dadurch werden sie in ein Flüchtlingslager für Erwachsene gebracht, in welchem sie Zellenmitglieder anrufen sollen. Diese helfen dem Opfer aus dem Flüchtlingslager. Jedoch ist bekannt, dass die Opfer dann für mehrere Wochen physisch missbraucht werden, bis sie einer Madam/Maman übergeben werden, die sie dann sexuell ausbeutet. Die Opfer müssen dann die angefallenen Kosten für den Schmuggel und die täglichen Lebenserhaltungskosten an die Kinderhändler zurückzahlen. Dieser Betrag lag im Jahr 2018 zwischen 30.000 bis 60.000€.1 Sollte das Opfer ein Kind bekommen, werden die zusätzlichen Kosten noch addiert.[6]

Schau nicht weg

Aber das ist nur ein Beispiel, wie solche Organisationen agieren. Diese Organisationen finden immer wieder neue Wege, die Polizei zu umgehen, Kinder zu rekrutieren und sie später auszubeuten, umso wichtiger ist es, sich über das Thema und öffentliche Institutionen, die sich die Situation genauer ansehen und entsprechend reagieren, zu informieren. Es ist erschreckend wie schwer es tatsächlich ist, aussagekräftige Informationen zu finden. Teilweise wird aus Berichten und Factsheets klar, dass es noch viel zu wenig transparente und ausführliche Informationen dazu gibt und auch, dass selbst wenn die Polizei Zugang zu solchen Informationen hat, es immer noch, aufgrund der Taktiken der Täter:innen, schwierig ist, Kinderhandel zu bekämpfen. Deshalb können wir uns bei dieser Sache nicht allein auf den Staat verlassen. Also, wenn DU eine verdächtige Situation erkennst, kannst du den Verdachtsfall selbst melden! Bei manchen Links findest du auch Beispiele für Verdachtsfälle.

Verdachtsfall von sexueller Ausbeutung in Österreich melden: https://www.nicht-wegsehen.at/

Verdachtsfall von sexueller Ausbeutung international melden (Beispiele für Verdachtsfälle am Ende der Seite): https://dontlookaway.report/

Online Kindesmissbrauchsmaterial melden: https://www.inhope.org/EN?locale=de

Quellen

[1] https://www.europol.europa.eu/publications-documents/criminal-networks-involved-in-trafficking-and-exploitation-of-underage-victims-in-eu

[2] https://www.savethechildren.net/news/one-four-victims-trafficking-and-exploitation-europe-are-children

[3] https://bim.lbg.ac.at/de/interview_menschenhandel_2021

[4] Madam: ein Begriff für eine oft ältere Frau, die ein Bordell, Escort Service oder eine andere Form von Prositution verwaltet. https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—asia/—ro-bangkok/—ilo-suva/documents/publication/wcms_494314.pdf

[5] https://www.unodc.org/documents/Global_Report_on_TIP.pdf

[6] https://www.pbs.org/newshour/world/nigerian-women-escape-sexual-bondage-italy


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