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Menschenrechte im Abseits


Sommermärchen 2.0? Während ganz Fußballeuropa in Begeisterung über das anstehende Turnier versinkt, zeichnen sich dunkle Wolken auf dem FIFA-Horizont ab: Nach der Kritik an der WM in Katar, gibt es schon jetzt erste Berichte über eine menschenrechtlich kritische Bewertung der Situation in den Austragungsländern der Weltmeisterschaften 2030 und 2034.

Sommerliche Abendstimmung: Angenehme 26 Grad, kurze Hosen, Bratwurst, Trikots, Public Viewing und das ein oder andere Bier. Ungefähr so, oder zumindest so ähnlich, sieht die Vorstellung des nächsten Monats jedes österreichischen Fußballfans aus, denn am 14.6. beginnt die Fußballeuropameisterschaft der Männer. Diejenigen, die Tickets ergattern konnten, fiebern der Reise in unser Nachbarland Deutschland, der diesjährige Gastgeber, schon regelrecht entgegen. Aber auch viele andere Fußballfans lassen sich von der Euphorie mitreißen: Innerhalb der Fußball-Community ist die Vorfreude auf das Turnier so groß wie schon lange nicht mehr. Doch obwohl die Vorfreude berechtigt und angebracht ist, rückt durch sie einiges in den Hintergrund, was allerdings nicht vergessen werden darf: Die menschenrechtlich katastrophale WM in Katar ist noch nicht lange her und die Weltmeisterschaften 2030 und 2034 wurden auf fragwürdige Art und Weise nach Marokko, Spanien, Portugal, Argentinien, Uruguay und Paraguay (2030) und nach Saudi-Arabien (2034) vergeben. Fußballfans waren schon gegen das Turnier 2022 laut in ihrer Kritik, doch wie sieht die menschenrechtliche Lage hinsichtlich der Vorbereitung der nächsten Weltmeisterschaften aus?

WM 2030 – Ein Turnier, drei Kontinente

Am 6. Juni veröffentliche Amnesty International einen Bericht, in dem die zukünftigen Gastgeberstaaten nicht gut abschneiden, besonders Saudi-Arabien steht in der Kritik. Aber auch die restlichen Länder werden im Bericht der Menschenrechtsorganisation erwähnt:
In Marokko sind große Infrastrukturprojekte in Planung, um die Durchführung der Weltmeisterschaft zu ermöglichen. Darunter fällt etwa das Grand Stade de Casablanca, das nach Erbauung etwa 115.000 Menschen das Zusehen erlauben wird. Dies ist an sich kein Problem, allerdings kommt es im internationalen Vergleich in Marokko zu überproportional vielen Arbeitsunfällen und im Bausektor ist die Rate der tödlichen Unfälle nochmals dreimal so hoch wie in anderen Wirtschaftszweigen. Allerdings sei ein Gesetz in Arbeit, das die riskanten Arbeitsbedingungen bessern und den Arbeitnehmer*innenschutz auf ein neues Niveau heben soll. Trotzdem verstoßen Marokko und Portugal gegen internationales Arbeitsrecht, da in den Nationen zu wenige Kontrollen der Baustellen stattfinden. Sie müssten diese um 50% erhöhen, um den Standards nachzukommen. Außerdem treten immer wieder Verletzungen der Rechte von Arbeitsmigrant*innen auf, welche auch in Spanien und Portugal heftig ausgebeutet werden. Einer der Arbeiter*innen, welche an der Renovierung des Camp Nou in Barcelona beteiligt waren, spricht davon, nur €4.50 pro Stunde verdient und in Baracken ohne Wasser und Strom gelebt zu haben. Es gibt im Bereich des Arbeitsrechts noch weitere besorgniserregende Erzählungen, etwa über exzessive Arbeitsstunden, über Versuche, die Macht von Gewerkschaften zu unterbinden, oder auch über Kinderarbeit in Marokko.
Auch aufgrund von Diskriminierung übt Amnesty International an Marokko Kritik: Erst 2022 wurde Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in dem nordafrikanischen Land verboten. Trotzdem gibt es noch problematische Strukturen, welche Frauen diskriminieren. Etwa gilt nach wie vor ein Verbot von Sex außerhalb der Ehe. Dieses Gesetz führt in der Praxis oft dazu, dass Frauen sexuelle Übergriffe nicht anzeigen, um selbst einer potenziellen Strafverfolgung aufgrund von unehelichem Geschlechtsverkehr zu entgehen. Zusätzlich ist auch Homosexualität in Marokko illegal und wird strafrechtlich verfolgt. Zwischen 2017 und 2020 wurden 838 Menschen wegen der Durchführung homosexueller Handlungen verfolgt. Auch diese Diskriminierung wird immer wieder laut angeprangert, so auch in diesem Bericht.
Weiters finden auch noch Argumente wie Privatsphäre, die Sicherheit der Anwohnenden und Besuchenden oder Meinungs- und Versammlungsfreiheit Erwähnung. Auch hierbei liegt in den meisten Fällen der Schwerpunkt der Kritik bei Marokko, allerdings schneiden auch die beiden EU-Länder nicht gut ab. Nachdem diese drei Länder die Hauptaustragungsorte der Weltmeisterschaft sind, werden Argentinien, Uruguay und Paraguay gar nicht erst erwähnt. Ob hier ein gesonderter Bericht zu erwarten ist, ist unklar. Wem allerdings ein Abschnitt gewidmet wurde, ist die Gastgebernation der WM 2034: Saudi-Arabien.

WM 2034 – Fußball in der Wüste

Wer sich mit den Problematiken rund um die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar beschäftigt hat, dem ist das Kafala-System ein Begriff. Für alle anderen: Das Kafala-System ist eine Struktur, die Arbeitsmigrant*innen ermöglicht, in arabischen Ländern zu arbeiten. Die Arbeitenden werden durch einen Sponsor, meistens ihre Arbeitgebenden, ins Land geholt und ihr Aufenthaltsstatus ist direkt an ihr Verhältnis zum Sponsor geknüpft. Sprich: verlieren Arbeitende ihren Job, verlieren sie auch gleichzeitig ihre Aufenthaltsberechtigung. Im Rahmen dieses Systems kommt es oft zu Lohndumping, katastrophalen Arbeitsbedingungen, Arbeitsrechtverletzungen und grauenhaften Wohnbedingungen, da sich die Arbeitnehmenden ihren Sponsoren ausgeliefert sehen. All das wurde schon in Katar beobachtet und wiederholt sich jetzt wieder im Nachbarstaat. Die Nation ist wirtschaftlich auch stark auf die importierten Arbeitskräfte angewiesen, etwa 80% der Personen am Arbeitsmarkt besitzen einen fremden Pass und sind keine Staatsangehörigen Saudi-Arabiens.
Es gab zwar einige Verbesserungen hinsichtlich der Situation von Frauen und Mädchen, allerdings bleiben weibliche Personen in Saudi-Arabien weiterhin stark diskriminiert und unterdrückt. Auch hier gibt es ein gesetzliches Verbot von außerehelichem Geschlechtsverkehr und die Situation für weibliche Personen, welche von sexueller Gewalt betroffen sind, ist ähnlich wie in Marokko. Zusätzlich müssen sie oft mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn ihr Kleidungsstil nicht angemessen ist oder sie sich in der Öffentlichkeit „unangemessen“ äußern. Außerdem gab es mehrfach Verfolgungen, Verurteilungen und Bestrafungen von gleichgeschlechtlichen Paaren, da diese die öffentliche Ordnung stören würden. Auch das Nachgehen einer anderen Religion als dem Islam ist mit empfindlichen Gefängnisstrafen belegt. Der saudi-arabische Staat hingegen meint in einer Presseaussendung im Rahmen der Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaft, dass alle Gäste mit allen Weltanschauungen willkommen wären. Ob das in der Realität auch so sein wird, wird sich zeigen.
Allerdings sind kritische Stimmen innerhalb des Landes nicht erwünscht und sowohl die Presse- als auch die Meinungsfreiheit innerhalb des Wüstenstaates stark eingeschränkt. Dementsprechend bleibt die Frage offen, wie unabhängig die weitere Berichterstattung über die menschenrechtliche Situation vor Ort sein wird. Denn viele Aktivist*innen oder Journalist*innen, die den Staat kritisierten, wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt oder auch, wie Jamal Khashoggi 2018, ermordet. Denn zusätzlich zu den Haftstrafen wird die Todesstrafe angewandt, falls man etwa den König beleidigt. Es wurden schon mehrfach Aktivist*innen zu Tode geprügelt oder gefoltert, ohne, dass dies für die Polizisten Konsequenzen gehabt hätte. Zimperlich geht die politische Führung mit ihren Gegnern also nicht um. Ähnlich verhält es sich mit der Privatsphäre der Bevölkerung: Die staatlichen Behörden verwenden Spyware, um politische Gegner und deren Kommunikation zu überwachen. Unter anderem wurde hierfür die bekannte und kontroverse Software Pegasus verwendet.

Amnesty International wünscht sich Maßnahmen der FIFA

Die Menschenrechtsorganisation kritisiert zwar die WM 2030, allerdings stellt sie das Turnier 2034 und dessen Austragungsort gleich komplett in Frage. Sie verweist darauf, dass sich die FIFA (Fédération Internationale de Football Association) mehrfach selbst dazu verpflichtet hat, gegen Menschenrechtsverletzungen aufzutreten und vorzugehen. Im Bericht wird von der FIFA gefordert, mit nationalen und internationalen Behörden zusammenzuarbeiten, um die Menschenrechtsverletzungen zu stoppen und gegebenenfalls, sollte keine Besserung der Lage erkennbar sein, den Nationen die Turniere zu entziehen.
Wer allerdings die FIFA kennt und die Kontroversen um die Weltmeisterschaft 2022 verfolgt hat, weiß, dass diese rote Linie nie überschritten werden wird und es schon fast an ein Wunder grenze, wenn überhaupt offizielle Kritik an den Veranstaltenden geübt würde. Generell passt die Vergabe der Weltmeisterschaften und das Verhalten der FIFA gut in die Entwicklung des Fußballs. Geld wird immer wichtiger und der Sport rutscht in den Hintergrund. Aber nicht nur der Sport scheint eine immer kleinere Rolle zu spielen, auch die Menschen werden immer unwichtiger – und mit ihnen auch ihre Rechte.


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