Wir wollen einfach nur die gleichen Rechte – Ein Interview mit der transgender Gruppe T-Kränzchen
Transgender Personen scheinen immer mehr in den Mittelpunkt des Diskurses zu rücken. In diesem Interview berichtet Samuel von T-Kränzchen zu der aktuellen Lage von transgender Personen.
Für viele Menschen ist Geschlecht binär. Für sie gibt es Mann und Frau. Wie würdest du diesen Personen erklären, was eine transgeschlechtliche Person ist?
Du stellst deine Frage: Geschlecht ist binär, nur hat die Binärität von Geschlecht nichts mit einer trans Identität zu tun. Eine trans Person ist jemand, deren empfundenes und soziales Gender nicht mit jenem übereinstimmt, das ihr bei der Geburt zugeordnet wurde. Es gibt viele Menschen, die identifizieren sich als Mann oder Frau, das ist cool, aber es gibt auch Menschen, die sich als weder noch, beides usw. identifizieren. Wir kommen daher immer mehr zur Erkenntnis, dass Gender als Spektrum und nicht als Skala bestehend aus bloß männlich und weiblich verstanden werden sollte. Was die Gesellschaft jetzt aber macht, ist Folgendes: Ein Kind kommt auf die Welt und wir nehmen ein paar Merkmale, wie z.B. die Form der Genitalien, die Größe oder das Gewicht, und ordnen diesen eine Kette von Zuschreibungen zu. Wenn dieses Kind nach außen gestülpte Genitalien hat, dann wird das Kind als männlich gelesen. Das heißt, es bekommt einen als männlich gelesenen Namen, das Kind solle dann bestimmte Interessen, Berufswahl, Kleidungspräferenzen und sexuelle Orientierung haben. Die Binärität von Geschlecht, dieses Konzept, kann man sowieso einmal aufbrechen. Das würde in weiterer Folge das Leben von trans Personen erleichtern.
Könntest du mir sagen, wer eure Interessengruppe ist? Was ist eure Organisation?
Wir sind das T- Kränzchen. Das ist eine Peer-to-Peer-Beratungsgruppe von und für Personen am transmaskulinen Spektrum. Peer-to-Peer bedeutet, wir sind eine Gruppe von und für Betroffene. Das Ganze ist als Safe-Space konzipiert. Wir machen Informationsweitergabe, Ressourcensammlung und Kontaktherstellung zwischen Personen, die einen ähnlichen oder gleichen Weg gehen. Entstanden ist das Ganze so, dass ich mir am Anfang meiner Transition gedacht habe: Es wäre doch super, wenn es andere Menschen gäbe, mit denen ich meine Erfahrungen bzw. die mit mir vielleicht ihre teilen könnten. Daher habe ich mit einem meiner besten Freunde das T-Kränzchen gegründet. Wir sind tatsächlich weder ein Verein noch eine offizielle Organisation. So bewegen wir uns und operieren wir. Man kann uns auch anrufen oder uns schreiben, wenn man was braucht. Das Ganze lebt sehr vom gegenseitigen Austausch, Unterstützen, Spaß und Freizeitgestaltung.
Ich habe mich in meinem Umfeld umgehört und eine häufig gestellte Frage ist, warum transgender Personen eine medizinische Transition [Anm.: Der Übergang von einem in ein anderes Geschlecht] durchführen?
Also ich würde ein paar Sachen auseinanderhalten. Transition ist ja nicht Transition. Transition kann heißen, sich manchen, einigen oder allen Schritten einer medizinischen Transition zu unterziehen. Aber eine Transition ist auch sozial. Das heißt, dass man sich einen anderen Namen überlegt, andere Pronomen benutzt, mal Pronomen ausprobiert, man sich anders kleidet oder die Haare schneidet. Man versucht, das im Inneren empfundene Gender nach außen zu tragen. Warum? Zuerst ist es mir wichtig zu sagen, dass Transidentität eine Selbstdiagnose ist. Also, wenn eine Person sagt, dass sie trans ist, dann ist das bereits der ganze Diagnoseprozess. Alle anderen Schritte (um z.B. eine Hormontherapie zu beginnen) sind der Ausschluss von etwas anderem. Es geht darum, dass auch im Außen widergespiegelt wird, also, dass die Person auch als das gelesen und wahrgenommen wird, was sie bereits ist.
Es ist noch dazu überhaupt nicht wichtig, welche Schritte eine Person unternimmt oder nicht unternimmt, um trans zu sein. Auch wenn eine Person keine Transitionsschritte unternimmt, könnte sie unter diesen Umständen trans sein. Das spiegelt sich auch im österreichischen Gesetz wider. Es reicht das eigene Empfinden!
Wie sieht die rechtliche Lage in Österreich aus?
Das ist wieder ein bisschen Haarspalterei. Eine Diagnose brauchst du nicht. Was du brauchst, sind verschiedene Stellungnahmen (die Informationen dazu gibt es übrigens auch im Internet [1]). Das Ganze ist dann ein multi-professioneller Prozess. Es gibt eine Person, bei der du in Therapie bist, eine, die eine klinische Differenzialdiagnose durchführt, eine für psychiatrische Stellungnahmen und eine, bei der du eine medizinische endokrinologische Untersuchung durchführen lässt. All diese Personen geben ihre Stellungnahmen ab. Da geht es dann hauptsächlich darum, herauszufinden, ob das Selbstbild durchgängig ist. Wenn dann all diese Personen sagen: „Dem spricht nichts entgegen“, dann kann zum Beispiel eine gegengeschlechtliche Hormontherapie gestartet werden. In Österreich ist das ab 16 Jahren möglich. Allerdings müssen alle Obsorgeberechtigten zustimmen. Ab 18 ist man natürlich volljährig und kann dementsprechend selbst entscheiden.
Im Internet werden trans Personen zur Zielscheibe gemacht; vor allem in den USA. Bekommt ihr das auch in Österreich mit?
Noch nicht. Das „NOCH“ muss sehr großgeschrieben sein, weil wir ja natürlich alle den „Österreich-Plan“ von Herrn Nehammer gehört haben und das ist natürlich haarsträubend, was er da sagt [2]. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass die Existenz von trans Personen die Machtposition des Patriarchats in Frage stellt, genauso wie die Existenz von schwulen und lesbischen Personen vor 50 Jahren. Wenn wir uns an die Stonewall-Riots [3] oder Anita Bryant [4] in den USA erinnern. Damals ist auch viel Politik mit und über queere Personen gemacht worden. Mittlerweile ist die vulnerable Gruppe die der trans Personen. Deren Rechte werden bedroht. Das ist ein Muster, das man beobachten kann. Ein Charakteristikum eines Rechtsrucks in der Gesellschaft ist das Angreifen von Menschen, die nicht der Norm entsprechen. In einem patriarchalen System sind das trans, nicht-binäre, intersex, schwule und lesbische Personen. Das ist eine Gefahr, die man als solche benennen muss. Das stimmt mich schon nachdenklich. Also, wenn ich jetzt 16 Jahre und trans wäre, würde ich mir viele Sorgen machen. Man darf eines nicht vergessen: Hormontherapie ist Suizidprävention [5]. Das zum Politikum zu machen, ist himmelschreiend.
Inwiefern fühlt sich ein Outing wie ein Neustart an?
Ich bin mir sicher, dass das so ist. Es gibt auch ganz viele Menschen, die feiern den Start ihrer Hormontherapie oder den Tag ihrer Namensänderung wie einen Geburtstag – was ich auch total schön finde. Tatsächlich bin ich ein großer Freund des Traditionsbegriffs. Wenn man sich aber anschaut, wer in Österreich diesen Begriff besetzt, so sind das die rechtskonservativen Parteien, die wir haben. Aber tatsächlich ist ja Tradition (im Sinne von Wissens- und Kulturweitergabe) etwas Schönes. Es ist etwas, das man weitergeben kann. Wenn jetzt trans Personen beginnen, den Start ihrer Hormontherapie zu feiern, ist das ja auch eine Art Tradition. Was mir dazu noch eingefallen ist: Ich weiß nicht, ob man das ganz so ummünzen kann, aber es gibt Untersuchungen, dass queere Teenager oder Kinder vor ihrer Transition oft ganz starke Probleme haben, sich ihre Zukunft vorzustellen. [6] Da Hormontherapie Suizidprävention ist – es gibt dazu auch konkrete Zahlen – gilt, umso niederschwelliger die Behandlung ist, umso besser geht es den Jugendlichen psychisch. Also muss es ja auf der Hand liegen, dass ein möglichst weiter Zugang zu jeder Art der Transition einen aktiven Beitrag zur Gesundheit der Menschen darstellt.
Gibt es noch etwas, das Sie Personen, die diesen Artikel lesen werden, mitgeben wollen?
Im Hinblick darauf, dass gerade mit uns trans und nicht-binären Personen Politik gemacht wird, sollten wir nicht beginnen, unsere Hoffnung zu verlieren. Ganz wichtig ist: Zusammen ist man weniger alleine. Das ist ein super-abgedroschener Spruch. Aber es macht wirklich einen Unterschied! Vernetzten wir uns, tauschen wir uns aus, organisieren wir uns, sind wir sichtbar und hoffen wir, dass es besser werden kann! Und an cis Personen, die diesen Artikel lesen: Es gibt ein Zitat, das mich beeindruckt. Ich weiß leider nicht, woher ich es habe. Aber es ist ein englisches Zitat. Auf Deutsch lautet es etwa so: Jemand, den du kennst, ist trans, vielleicht sogar jemand, den du liebst – wenn du nicht weißt, wer das ist, musst du dich fragen, ob du „safe“ genug für diese Person bist, dass sie es dir sagt. Ich habe oft so das Gefühl, dass cis Personen oft ein bisschen Panik haben, dass irgendwer irgendwessen Rechte wegnehmen will. Darum geht es überhaupt nicht! Wir wollen einfach nur genau die gleichen Rechte, genau die gleiche Sichtbarkeit und ganz genau die gleiche Akzeptanz wie cis Personen. Um mehr geht es gar nicht.
Autor Fußnoten:
[1] https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Nicht-uebertragbare-Krankheiten/ Psychische-Gesundheit/Transsexualismus-Geschlechtsdysphorie.html
[2] Seiten 36, 57: https://www.deroesterreichplan.at/Download/Pdf/Der_Oesterreichplan.pdf
[3] Zum Weiterlesen: https://www.derstandard.at/story/2000102585219/gay-power-wie-diestonewall-riots-zum-beginn-der-lgbt
[4] Zum Weiterlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Anita_Bryant
[5] https://psycnet.apa.org/record/2020-22198-001 https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1054139X21005681
[6] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/15299716.2011.571988