Kenne deine Rechte

Wie Bundesländergrenzen Ungleichheiten in der Behindertenpolitik verschärfen


Barrierefreie Teilhabe in sämtlichen Lebensbereichen“ – das ist eines der zentralen Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BKR), welche die Grundrechte von Menschen mit Behinderung verankert. Dass es hierfür in Österreich noch reichlich Handlungsbedarf gibt, bestätigt die letzte Staatenprüfung ebenjenes Fachausschusses der Vereinten Nationen vom August 2023. Ausgerechnet ein Grundprinzip der österreichischen Verfassung haben die Expert:innen als Problemfaktor identifiziert: Unsere föderalistische Staatsstruktur, welche für die Rechte von Menschen mit Behinderung zahlreiche unterschiedliche gesetzliche Regelungen vorsieht.

L‘état, c‘est quoi?

Ein Staat kann zentralistisch als Einheitsstaat oder föderalistisch als Bundesstaat mit mehreren Teil- oder Gliedstaaten aufgebaut sein. Weltweit gibt es aktuell 24 Staaten, die nach einem föderalen Modell agieren – darunter Deutschland, Österreich und die Schweiz. Zu den wichtigsten Merkmalen dieses Staatskonstrukts zählt, dass Gesetzgebung und Vollziehung auf zumindest zwei Ebenen aufgeteilt sind, und dass die Länder in der Bundesgesetzgebung mitwirken, etwa in Form eines Zwei-Kammern-Systems. Österreich ist hierfür ein Musterbeispiel.

In der Querschnittsmaterie des Behindertenrechts führt dies jedoch dazu, dass innerstaatlich bei neun Millionen Einwohner:innen, wovon rund 1,4 Millionen Menschen eine Form der Behinderung haben, teilweise auch neun unterschiedliche Rechtslagen bestehen. Während in Österreich etwa der Bund die Kompetenz zur Eingliederung von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt in Gesetzgebung und Vollziehung besitzt, sind die Länder für jene Personen zuständig, die (noch) nicht oder nicht mehr am regulären Arbeitsmarkt tätig sein können.

Die seltsamen Blüten des Föderalismus

Nach der Schulpflicht stehen jungen Menschen mit Behinderung, vor allem im Falle einer kognitiven Beeinträchtigung, Tageseinrichtungen („Werkstätten“) zur Verfügung. Dass die rund 25000 in den Tageseinrichtungen tätigen Menschen mit Behinderung derzeit kein Entgelt, sondern lediglich einen Anerkennungsbeitrag in Form eines Taschengeldes bekommen, wurde in den letzten Jahren öffentlich wiederholt kritisiert. Dass Menschen mit Behinderung teilweise aber sogar dafür bezahlen müssen, dass sie überhaupt in so einer Werkstätte tätig sein dürfen, wissen hingegen wohl nur die Wenigsten: In Wien etwa fällt ein Kostenbeitrag in Höhe von 30 % des Pflegegeldes an – in der Steiermark muss der Beitrag erst dann entrichtet werden, wenn das monatliche Gesamteinkommen über 800 € liegt.[1]

Auch die Bedingungen in den Tageswerkstätten unterscheiden sich abhängig von Träger und Bundesland stark: Erst kürzlich berichtete die Volksanwaltschaft etwa von der Problematik, dass in vielen Tageswerkstätten nicht zwischen Krankenstand und Urlaub unterschieden wird, wenn es um die Anzahl der möglichen Fehltage geht. So kann es vorkommen, dass nach einem längeren Krankenstand kein einziger Urlaubstag mehr übrigbleibt.[2] Die Möglichkeit, eine tägliche „Platzhaltegebühr“ nach Verbrauch des Fehlkontingents zu bezahlen, ist wohl nur für die Wenigsten eine Option – die meisten Beschäftigten in den Tageswerkstätten sind auf Waisenpension oder Sozialhilfe angewiesen. Letztere wiederum ist ebenfalls von Land zu Land verschieden.[3]

Allgemein sehr positiv aufgenommen wurde die Nachricht, dass Menschen mit Behinderung, die in Tageswerkstätten tätig sind, nun seit Jahresbeginn genauso in Altersteilzeit und in Pension gehen können. Der Wermutstropfen bei der Sache? Diese Neuregelung gibt es nur in der Steiermark. Als einziges Bundesland haben Menschen mit Behinderung hier nun die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie in einem höheren Alter noch einer Beschäftigung nachgehen wollen oder nicht. Auch andere Bereiche, wie etwa die persönliche Assistenz außerhalb der Arbeitswelt, welche für viele Menschen mit Behinderung ganz essenziell für ein selbstbestimmtes Leben ist, sind derzeit in jedem Bundesland anders geregelt.[4] Oft sind zudem Menschen mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen von der Inanspruchnahme von Leistungen ausgeschlossen, was der Behindertenrat, die österreichische Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung, stark kritisiert.

Menschen mit Behinderung verdienen mehr!

„Rechte und Leistungen müssen österreichweit einheitlich gewährt werden“, fordert der Behindertenrat auf seiner Webseite.[5] Verstärkt soll auf länderübergreifende Vereinbarungen (15a-Vereinbarungen) gesetzt werden. Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung wäre mit dieser Maßnahme bestimmt einverstanden – stellte dieser doch fest, dass die Landesregierungen der UN-BRK kaum Beachtung schenken.[6] Zusammenfassend lässt sich sagen: Es braucht mehr Sichtbarkeit und Sicherheit für Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen und ihre Menschenrechte im Speziellen – und das unabhängig davon, in welchem Bundesland sie leben.


[1] Ilse Zapletal, Die Eine ist immer arm, der Andere nur vorübergehend, Juridikum 2019/2, 188 (189)

[2] Bürgeranwalt vom 3.2.2024 „Fehlende Unterscheidung von Krankenstand und Urlaub“

Bürgeranwalt vom 03.02.2024 – ORF-TVthek

[3] Eine flächendeckende Umsetzung des 2019 beschlossenen Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes ist bisher noch nicht erfolgt. Ohnehin gibt es dort anstelle von Mindeststandards nur Höchstsätze.

[4] Erst 2023 wurde ein Pilotprojekt in drei Bundesländern für die einheitliche Regelung zur persönlichen Assistenz ins Leben gerufen. Ob es bald wirklich bundeseinheitliche Rahmenbedingungen gibt, wird sich zeigen.

[5] Forderungen – Österreichischer Behindertenrat

[6] Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (behindertenrat.at)


Das könnte dich auch interessieren