Zwischen mitgemeinten Frauen und Salzstreuer*innen – Ein Denkanstoß zum Thema Gendern
Das Thema Gendern löst vor allem in letzter Zeit immer häufiger hitzige Diskussionen aus. Während manche Personen finden, dass inklusive Sprache ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist, fordern diverse Politiker*innen ein Genderverbot[1]. Letzteres wurde in Niederösterreich für die Behörden mittlerweile sogar durchgesetzt[2]. Doch was hat es nun mit dem Ganzen auf sich? Ist Gendern wirklich nur kompliziert und gehört verboten oder ist es vielleicht doch ein wichtiges Werkzeug, um für mehr Inklusion zu sorgen?
Bevor ihr weiterlest, habe ich eine kleine Aufgabe für euch: Schreibt bitte eure drei Lieblingsschauspieler auf. Die Erklärung dazu gibt es später.
Was hat es mit dem Ganzen auf sich?
Zuerst einmal eine kurze Erklärung: Was ist Gendern überhaupt? Gendern beschreibt die geschlechtergerechte Sprache, also dass in der Sprache alle Menschen – nicht nur Männer, wie es beim generischen Maskulinum der Fall ist – berücksichtigt werden. Hierfür gibt es verschiedene Varianten: Bei der Beidnennung werden beispielsweise sowohl die männliche als auch die weibliche Form genannt (z. B. Bürgerinnen und Bürger). Dann gibt es noch die Varianten mit Binnen-I (BürgerInnen) oder Schrägstrich (Bürger/innen). Diese drei Varianten berücksichtigen jedoch nur Männer und Frauen, weswegen es mittlerweile auch gebräuchlich ist, mit Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich zu gendern (z. B. Bürger*innen), um auch genderqueere[3] Personen mit einzubeziehen[4].
Viele Menschen fragen sich, wozu man überhaupt gendern soll. Feminismus und LGBTQIA+[5]-Unterstützung schön und gut, aber hängt das wirklich nur von der Sprache ab? Haben wir denn keine wichtigeren Probleme? Die Antwort lautet: Ja. Wir haben wichtigere Probleme. Zum Beispiel die immer weiter ansteigende Gewalt gegen Frauen[6] oder auch die Diskriminierung von queeren Personen[7], um nur zwei der vielen Beispiele zu nennen. Und trotzdem darf man der Meinung sein, dass Gendern wichtig ist. Immerhin sind auch kleine Schritte in die richtige Richtung von großer Bedeutung. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob es wirklich so ein kleiner Schritt ist, da wir Sprache in unserem alltäglichen Leben verwenden und sie dadurch natürlich einen gewissen Einfluss auf uns hat.
Das „komplizierte Unnötige“ hat schon einen Sinn
Doch genau dieser Einfluss ist Menschen, die gegen das Gendern sind, nicht recht. Sie finden das Ganze unnötig kompliziert und fühlen sich eingeschränkt. Dazu muss man sagen, dass das Gendern tatsächlich auch seine Schattenseiten hat. Für Menschen mit Leseschwäche oder auch Menschen, die nicht so gut Deutsch können, sind Texte, in denen mit Sternchen, Doppelpunkt und Co gegendert wird, meistens recht schwierig zu verstehen. Komischerweise werden diese beiden Personengruppen allerdings so gut wie nie als Argument gegen das Gendern genannt. Spannend ist zudem auch, dass Menschen ohne Leseschwäche oder Ähnlichem normalerweise auch Texte, in denen Buchstaben verdreht sind, ohne Probleme lesen können[8]. Ein Sternchen sollte also auch keinerlei Probleme darstellen und Texte nicht „unnötig kompliziert machen“.
Das Hauptargument, das man in der Genderdebatte immer wieder hört, ist jedoch, dass beim generischen Maskulinum alle Personen, die keine Männer sind, mitgemeint sind. Das habe zudem auch automatisch den positiven Nebeneffekt, dass man niemanden benachteiligen oder misgendern[9] könne, wenn einfach für alle Menschen männliche Begriffe verwendet werden und man hier keine sprachlichen Unterscheidungen trifft. An dieser Stelle möchte ich auf die Aufgabe mit den Schauspieler*innen zurückkommen, die ich euch zu Beginn gestellt habe. Wie viele der Schauspieler*innen, die ihr aufgeschrieben habt, sind Männer und wie viele nicht? Habt ihr überhaupt daran gedacht, Schauspieler*innen aufzuschreiben, die keine Männer sind? Wenn nicht, könnt ihr mir nun natürlich vorwerfen, dass das unfair ist – immerhin habe ich nach Schauspielern gefragt und nicht nach Schauspieler*innen. Aber genau das ist der Punkt: Viele Menschen denken in erster Linie an Männer, wenn das generische Maskulinum verwendet wird. Das liegt unter anderem daran, dass wir in einer Gesellschaft mit patriarchalen[10] Strukturen leben und gewisse Begriffe dadurch automatisch bestimmte Bilder in unseren Köpfen erzeugen. Hierzu gab es auch schon diverse Studien[11].
Keine Angst vor (absurden) Veränderungen!
Müssen wir also neue, geschlechtsneutrale Begriffe erfinden, um dem „männerzentrierten Denken“ entgegenzuwirken, wenn wir wirklich nicht mit Sternchen oder sonstigen Satzzeichen gendern wollen? Nicht unbedingt. Es gibt im Deutschen bereits viele Begriffe, die geschlechtsneutral sind (z. B. Studierende statt Studenten, Lehrperson statt Lehrer, alle statt jeder etc.). Oft lassen sich Satzteile auch einfach umformulieren (z. B. die Personen, die dort drüben singen statt die Sänger dort drüben). Es ist allerdings auch denkbar, dass in Zukunft sehr wohl mehr geschlechtsneutrale Begriffe oder sogar geschlechtsneutrale Pronomen ins Deutsche eingeführt werden. Im Schwedischen gibt es beispielsweise seit einigen Jahren das geschlechtsneutrale Pronomen hen[12].
Genau vor solchen Veränderungen haben viele Menschen jedoch Angst und sind der Meinung, dass so etwas „unsere schöne Sprache ruiniert“. Oft hört man diesbezüglich auch „Witze“ wie „Bald gibt es dann keine Männer mehr“ oder „Irgendwann werden wir sogar Salzstreuer*innen gendern müssen“. Diese Angst ist jedoch unbegründet, da niemand durch Gendern erreichen will, dass Männer verschwinden oder Objekte personifiziert werden. Zudem ist es ein Fakt, dass unsere Sprache sich sowieso stetig verändert. Und diejenigen, die finden, dass die „schöne Sprache“ darunter leidet, sollten auch nochmals hinterfragen, ob es wirklich wichtiger ist, dass eine Sprache, die keine Gefühle hat, schön klingt und aussieht, oder ob nicht vielleicht doch im Fokus stehen sollte, dass bestimmte Personengruppen sich wohl und nicht diskriminiert fühlen.
Im Endeffekt muss natürlich jede Person selbst entscheiden, ob sie gendern will oder nicht. Man kann sich auf jeden Fall auch auf andere Art und Weise für mehr Gleichberechtigung einsetzen, aber gleichzeitig sollte man sich dessen bewusst sein, dass Sprache einen großen Einfluss auf unser Leben hat und Gendern daher sehr wohl sinnvoll ist. Sonderlich kompliziert ist es zudem auch nicht. Und bevor man sagt, dass man sich eingeschränkt fühlt, weil jemand durch die Verwendung eines Sternchens oder Ähnlichem für mehr Inklusion sorgen möchte, sollte man sich erstmal selbst fragen, was ein Genderverbot eigentlich macht – nämlich Menschen das Recht nehmen, selbst über die Art und Weise, wie sie sich ausdrücken möchten, zu entscheiden.
[1] https://www.derstandard.at/story/3000000198434/gender-verbot-f252r-bayerns-schulen-und-beh246rden-angek252ndigt
[2] https://www.derstandard.at/story/3000000176467/fpoe-will-genderverbot
[3] Als genderqueer werden z. B. nicht binäre, agender oder intergeschlechtliche Personen bezeichnet.
[4] https://www.genderleicht.de/sprechen/
[5] LGBTQIA+ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intergeschlechtlich, Asexuell und weitere Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten, die nicht cis-geschlechtlich oder heterosexuell sind.
[6] https://www.wien.gv.at/menschen/frauen/stichwort/gewalt/zahlen.html
[7] https://www.wien.gv.at/menschen/queer/diskriminierung/zahlen.html
[8] https://www.mrc-cbu.cam.ac.uk/people/matt.davis/cmabridge/
[9] Misgendern bedeutet, dass man über eine Person mit Pronomen oder Begriffen spricht, die nicht zu ihrer Gender-Identität passen.
[10] Patriarchat bedeutet u. a., dass unsere Gesellschaft von Männern geprägt, kontrolliert, repräsentiert etc. wird.
[11] https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0261927X01020004004
[12] https://www.derstandard.at/story/2000032304223/weder-er-noch-sie-schwedens-geschlechtsneutrales-pronomen-hen