Bildung als Privileg? So können wir von PISA lernen
Nach dreijähriger coronabedingter Pause ist letzte Woche das Ergebnis des wichtigsten internationalen Vergleichstests der schulischen Leistung von 15-16-jährigen Schüler:innen veröffentlicht worden, an dem 81 Länder teilgenommen haben. Die Rede ist von der PISA-Studie der OECD. Das Hauptziel der PISA-Studie ist die Feststellung, inwieweit das Schulsystem eines Landes auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet und die notwendigen Voraussetzungen für ein lebenslanges Lernen schafft.
Bildungsminister Polaschek von der ÖVP nannte das Ergebnis „erfreulich“ und schrieb sich das für ihn scheinbar gute Ergebnis auf die eigene Fahne. So haben Covid- Maßnahmen wie beispielsweise zusätzliche Förderstunden dazu beigetragen, dass trotz der durch die Coronapandemie verursachten Verschlechterungen der schulischen Leistungen eine totale Leistungsschlappe der Schüler:innen verhindert werden konnte. Auf den ersten Blick scheint es so, als würde er prinzipiell damit Recht behalten. Immerhin liegen die Werte im diesjährigen Schwerpunktfach Mathematik leicht im überdurchschnittlichen Bereich, in Naturwissenschaften und Lesen befindet man sich im Durchschnitt.
Sozialer Status entscheidet über Schulerfolg in Österreich
Jedoch gibt es einige signifikante Unterschiede zwischen Schüler:innen mit hohem sowie mit niedrigem sozialem Status. Österreich zählt zu den Ländern, in denen die Leistungsunterschiede aufgrund der sozialen Herkunft am größten sind. Dies zeigt sich vor allem in den Naturwissenschaften und im Lesen. Das lässt sich durch eine Grafik, die die Leistungsentwicklung der untersuchten Schüler:innen zwischen 2018 und 2022 untersucht, beweisen. Auffällig dabei ist, dass die Naturwissenschaftskompetenz der untersuchten 15-16-Jährigen mit niedrigem sozioökonomischem Status in Österreich eine Abnahme von 18 Punkten zeigt. Im EU-Schnitt ist nur eine Abnahme von 10 Punkten zu verzeichnen. Zudem gibt es in der Mathematik nur 3 Länder, in denen die Leistungsdisparitäten größer sind, nämlich in der Slowakei, in Israel und in Rumänien.
Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass es auch einige Länder gibt, die in den abgeprüften Disziplinen ähnliche Ergebnisse erzielen, darunter befinden sich unter anderem die Nachbarländer Deutschland, Schweiz und die Tschechische Republik. Nichtsdestotrotz gehört Österreich zu den Ländern, in denen die Disparität zwischen dem sozialen Status am größten ist. Das bedeutet, dass gute schulische Leistungen vorwiegend jene Schüler:innen erbringen, deren Eltern die finanziellen Mittel haben.
Eng verbunden mit dem sozialen Status bei den österreichischen und internationalen PISA-Testergebnissen ist auch der Migrationshintergrund, der übereinstimmend in internationalen und nationalen Studien Hand in Hand mit geringeren Leistungen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaft geht.
Die österreichischen Schüler:innen mit Migrationshintergund erhielten 58 Punkte weniger bei der Testung als ihre Mitschüler:innen, die Eltern aus Österreich haben, was einen Leistungsrückstand von mehr als 2 Jahren bedeutet – wobei die Hälfte davon gleichzeitig aus einer Familie mit besonders wenigen Ressourcen kommt und 75 Prozent angegeben haben, daheim nicht die Unterrichtssprache zu nutzen.
Aber ist es auch in anderen Ländern so, dass Schüler:innen mit Migrationshintergrund automatisch einen so großen Leistungsrückstand haben gegenüber Schüler:innen, deren Eltern aus dem jeweiligen Land, in dem die Studie durchgeführt wurde, stammen?
Irland als Beispiel für einen geringeren Leistungsrückstand
Irland ist schon seit Jahren dafür bekannt, bei den PISA-Tests im europäischen Vergleich ausgezeichnet abzuschneiden. Bei den diesjährigen PISA-Ergebnissen im Lesen erreichte Irland sogar den ersten Platz. Auffallend daran ist, dass die Differenz zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund nur 13 Punkte, also ein halbes Jahr beträgt, wohingegen in Österreich der Leistungsrückstand von Migrant:innenkindern 65 Punkte, und damit genauso wie bei der Mathematik mehr als 2 Jahre beträgt. In Irland schneiden die migrantischen Schüler:innen übrigens in Mathematik nur um 13 Punkte schlechter ab. In den Naturwissenschaften sind die Leistungsunterschiede sogar noch geringer –mit einer Differenz von 3 Punkten sind die Ergebnisse sogar fast ident.
Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass es aufgrund landesspezifischer Faktoren wie sprachlicher Unterschiede (Schwierigkeit, die Sprache zu erlernen, lesen zu können) oder unterschiedlicher Migrationsanteile in der Stichprobe (in Österreich 27%, in Irland 17%) schwierig ist, ganz korrekte repräsentative Vergleiche anzustellen.
Dennoch gibt es Daten, die sich weitgehend vergleichen lassen, und es kann meiner Meinung nach generell nicht schaden, über den eigenen Tellerrand zu schauen, um zu analysieren, was wir von anderen Schulsystemen, welche zu besseren Testergebnissen führen und dadurch erfolgreicher sind, lernen können. (1)
Gliederung des irischen Schulsystems
Während der Schulzeit müssen die Schüler:innen die sechsjährige primary und danach die sechsjährige secondary school durchlaufen. In der secondary school gibt es drei verschiedene Schultypen: In der Community School werden traditionelle Fächer mit praktischen, technischen und berufsbezogenen Fächern vereint. In der Vocational School liegt der Schwerpunkt auf der Vermittlung technischer und berufsbezogener Inhalte. In der Voluntary Secondary School werden die Schüler:innen auf ihre Studienzeit vorbereitet; sie entspricht damit etwa dem Gymnasium in Österreich.
In der Secondary School (weiterführenden Schule) werden die Jahrgänge von eins bis sechs benannt. Die ersten drei Jahre besuchen die Schüler:innen den Junior Cycle, der mit der Unterstufe verglichen werden kann, und wechseln dann in den Senior Cycle, der wiederum drei Jahre dauert und mit der Oberstufe in Österreich zu vergleichen ist.
„Transition Year“ und Fokus auf die Stärken der Schüler:innen
Die meisten irischen Schüler:innen entscheiden sich für die Secondary School. Das erste Jahr des Senior Cycle ist das sogenannte Transition Year, wenn die Schüler:innen etwa 15 Jahre alt sind. Das entspricht etwa unserer 5. Klasse Oberstufe im Gymnasium. In diesem Jahr wird die Orientierung und Weiterentwicklung der Schüler:innen gefördert, und die Schüler:innen haben Zeit, auszutesten, welche Ausbildung sie nach der Schule ergreifen möchten.
Die allgemeine Hochschulreife bekommen die Schüler:innen an irischen High Schools mit dem „Leaving Certificate“ nach der 12. Klasse. Alle Schulen in Irland werden als ganztägige Schulform geführt, der Unterricht beginnt in den meisten Fällen um 9 Uhr und endet nachmittags um 16 Uhr. Eine kleine Pause von 15 Minuten gibt es normalerweise nach drei Stunden und nach weiteren 3 Stunden die große Mittagspause von 30 bis 40 Minuten.
Zudem können die Schüler:innen in Irland aus einer breiten Palette von Wahlfächern wählen: von Holzbearbeitung über Technisches Zeichnen und Gesundheit bis hin zu Rhetorik und Film. Hier können die Schüler:innen ihren Talenten und Fähigkeiten nachgehen und können ihre Stärken verbessern, zudem gibt es viele zusätzliche Kursangebote für die Schüler:innen abseits des Unterrichts. (2)
Fokus auf die Stärken als Schlüssel zum Erfolg
Irland ist wie oben angeführt eben ein Land, in dem die Ganztagsschule Standard ist, was für vollzeitbeschäftigte Eltern eine enorme Entlastung sein kann. Kinder haben hier die Möglichkeit, Hilfe von Pädagog:innen zu erhalten, sollte es Schwierigkeiten bezüglich eines Stoffgebietes beispielsweise bei der Hausübung geben. So sind in Irland Kinder nicht so leicht auf Nachhilfe angewiesen, die sich in Österreich hauptsächlich bessergestellte Familien leisten können. So bleiben Kinder mit niedrigerem sozioökonomischem Status weniger leicht auf der Strecke.
Durch das Fokussieren auf die Stärken im Zuge der Wahlfächer haben die irischen Schüler:innen zudem die Möglichkeit, sich nötiges oder hilfreiches Vorwissen anzueignen, um sich ideal auf ihren späteren Beruf bzw. auf das weiterführende Studium vorzubereiten und dadurch Freude am Lernen zu gewinnen, was sich in weiterer Folge auch positiv auf den Lernerfolg niederschlägt. Diesen Weg könnte Österreich auch einschlagen, da viele Lehrinhalte, die im österreichischen Schulsystem enthalten sind, für viele Berufe nicht gebraucht werden und vielen Schüler:innen Schwierigkeiten und Frustration bereiten. Zudem bietet das „Transition Year“ vor allem Schüler:innen aus sozioökonomisch schlechtergestellten Familien die Möglichkeit, selbst auszutesten, was sie nach der Schule machen wollen.
Das Beispiel Irland deutet also darauf hin, dass das Fokussieren auf die Stärken der Schüler:innen ein Faktor sein könnte, der sich positiv auf die PISA-Ergebnisse auswirkt. Jedenfalls könnte dadurch aber Frust vermieden und das individuelle Profil der Schüler:innen mit ihren jeweiligen Interessen gestärkt werden. Daran könnte sich Österreichs Bildungspolitik und allen voran Bildungsminister Polaschek ein Beispiel nehmen.
(1) PISA 2022. Kompetenzen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaft am Ende der Pflichtschulzeit im internationalen Vergleich. Toferer, B., Lang, B., & Salchegger, S. (Hrsg.) Salzburg: 2023.