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„Wege zur Gleichbehandlung“: Interview mit Elke Lujansky-Lammer


Die Ausstellung „Jetzt im Recht! Wege zur Gleichbehandlung“ gastiert momentan im Grazer Volkskundemuseum. Sie informiert anhand von Comics über Diskriminierungserfahrungen und die rechtlichen Möglichkeiten für Betroffene. In diesem Zusammenhang haben wir Frau Dr.in Elke Lujansky-Lammer getroffen, um mit ihr über Gleichbehandlung zu sprechen.

Zuallererst– herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für das Gespräch mit uns. Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen und erklären, was Ihre Funktion bei der Gleichbehandlungs- anwaltschaft (GAW) ist?

Vielen Dank für die Einladung! Mein Name ist Elke Lujansky-Lammer, ich leite die Regionalbüros Steiermark und Kärnten der GAW. Das Regionalbüro Steiermark leite ich seit dessen Errichtung im Jahr 2000 und das Regionalbüro Kärnten kam erst 2022 dazu.

Was genau sind denn die Aufgaben der GAW?

Wir sind eine staatliche Einrichtung und extra dafür eingerichtet, Menschen zu unterstützen, die sich diskriminiert fühlen. Die Betonung auf „Fühlen“ ist hier ganz wichtig: Die meisten Menschen kennen sich im Recht ja nicht so gut aus – haben oft aber trotzdem ein Gefühl oder einen Eindruck, dass etwas nicht stimmt oder ungerecht ist. Man kann sich dann natürlich ärgern, man kann mit Freund:innen reden, schimpfen, man kann alles Mögliche tun. Aber zu empfehlen ist auch, dass man sich an eine Einrichtung wendet, die die Kompetenz hat, sich den Sachverhalt rechtlich anzuschauen. Genau dafür ist die GAW als Beratungsstelle da. Alle unsere Dienstleistungen sind kostenfrei und vertraulich. Bei uns geht es darum, im Vorfeld der Gerichtsbarkeit zu informieren, zu beraten und zu unterstützen. Welche Schritte die Betroffenen dann setzen wollen, hängt ganz von ihnen ab.

Die allererste Gleichbehandlungsanwältin Ingrid Nikolay-Leitner hat ja bereits 1991 ihre Arbeit aufgenommen. Haben sich die Fälle seit den Anfängen der GAW stark verändert? Oder sind es noch immer dieselben Themen, mit denen man auch schon vor 30 Jahren konfrontiert war?

Es ist tatsächlich sehr viel passiert seit den Anfängen. Ich habe 2000 bei der GAW zu arbeiten begonnen und wenn man etwa die Fälle des Monats, die wir auf unserer Webseite haben, von damals mit heute vergleicht, dann sind diese Fälle grundsätzlich nicht sehr verschieden. Also auf der Einzelfallebene, würde ich sagen, hat sich nicht viel verändert… Wir haben beispielsweise noch immer einen großen Einkommensunterschied – beim Gender Pay Gap kann man manches erklären und dann gibt es noch diesen ungeklärten Rest. Und darunter fällt unter anderem auch, dass eben Frauen für die gleiche oder gleichwertige Arbeit nicht das gleiche Entgelt bekommen. Gesellschaftlich und rechtlich hat sich aber schon einiges getan, würde ich mal sagen, wenn man die Situation heute mit der vor 30 Jahren vergleicht. Was sich über die Jahre sicher geändert hat: Menschen in aller Vielfalt gab es schon immer. Jetzt haben wir aber die Situation, dass wirklich darüber geredet wird. Beispielsweise über Toiletten und Umkleideräume für Transpersonen. Allerdings nun auch in der ganzen Bandbreite von Hass bis Verständnis, Erkennen oder Wissenserweiterung. Dieser Diskurs ist etwa auch im Umgang mit Rassismus einer, den wir vor Jahren noch nicht hatten. Aber dass wir ihn führen, ist wichtig.

Es geht also öfter um Diskriminierung in der Arbeitswelt. Ist das Ihr Hauptgebiet? Wie schaut es denn in anderen Bereichen aus?

Das Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) gilt für die private Wirtschaft und hierzu zählt eben klar die Arbeitswelt. In diesem Bereich hat das GlBG jedenfalls die längste Geschichte. Außerdem ist der Begriff “Arbeitswelt” auch sehr weit zu fassen: Entgelt, Stellenausschreibungen, Bewerbungsprozedere, Arbeitsbedingungen, Beförderungen bis zum Ausstieg aus einem Unternehmen – aber auch Berufsberatung zählt dazu. Hier haben wir klar die meisten Anfragen und das ist auch das, wofür wir als GAW am bekanntesten sind. In der Arbeitswelt zählen Fälle  im Zusammenhang mit sexueller Belästigung eigentlich zu den häufigsten. Vielleicht können wir darauf später noch näher eingehen.

Der andere Bereich neben der Arbeitswelt ist, und das nennt sich wirklich so, der „sonstige Bereich“. Dieser ist beispielsweise dann erfasst, wenn ich Kund:in, Patient:in oder Konsument:in bin. Vordergründig geht es hier um den Zugang und die Inanspruchnahme von Gütern und Dienstleistungen. Also z.B. der Zugang zu Museen, zu Geschäften, medizinische Dienstleistungen, Behörden, Banken, aber etwa auch die Wohnungssuche.

Welche Diskriminierungsgründe sind denn überhaupt vom Gesetz erfasst?

Wir haben im GlBG folgende Diskriminierungsmerkmale: Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Religion und Weltanschauung. Häufiger melden sich z.B. Frauen bei uns, die ein muslimisches Kopftuch tragen und Schwierigkeiten haben, ein Dienstverhältnis zu begründen. Außerdem gibt es noch die Behinderung als möglichen Diskriminierungsgrund. Dieses Merkmal ist aber insbesondere in einem anderen Gesetz geregelt, nämlich im Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG). Generell lässt sich feststellen: Diskriminierung hat viel mit Mehrheit und Minderheit zu tun. Probleme gibt es, wenn diese Unterschiede, die es bei allen Menschen gibt, herangezogen werden, um zu benachteiligen, um auszugrenzen oder zu belästigen.

Soviel zu den Merkmalen, die gesetzlich verankert sind. Dann gibt es einfach noch Vieles, das leider nicht im Gesetz steht. Wenn man sich diskriminiert fühlt, ist es auf jeden Fall wichtig, nicht zu schweigen und Informationen einzuholen. Rückmeldungen sind wichtig, dann können sich die Menschen verändern, sie können lernen. Häufig hat Diskriminierung nichts damit zu tun, dass jemand eine andere Person niedermachen möchte, sondern es passiert einfach – z.B. wenn Leute sagen “das haben wir immer schon so gemacht” oder bestimmte Wörter verwenden, die nicht mehr zeitgemäß sind.

Wichtig ist auch: Im Strafrecht brauche ich ein Motiv, eine gewisse Absicht. Das brauche ich hier nicht. Die psychologische Perspektive, also warum jemand sich diskriminierend verhält, mag interessant sein, aber ist nicht relevant. Im Gleichbehandlungsrecht kommt es nicht auf die Absicht an, sondern auf die Wirkung. Wenn ein Mensch sagt, ich fühle mich belästigt, ich fühle mich in meiner Würde gekränkt, dann ist es nun einmal so. Ob das auch die Intensität des Gesetzes erreicht, kann man rechtlich prüfen lassen.

Sie sagten vorhin, dass wir unbedingt noch über sexuelle Belästigung sprechen müssen.

Ja, denn dazu haben wir in der Beratungsstelle sehr, sehr viele Fälle. Das hat sich auch über die Jahre nicht geändert. Die Frage ist: Was ist sexuelle Belästigung überhaupt? Wann kann, wann „darf“ sich ein Mensch sexuell belästigt fühlen? Auch wenn das Wort „sexuell“ in dem Begriff steckt, geht es um Geschlechterverhältnisse und Macht. Sexualisierte Gewalt ist eine Platzanweisung. Häufig wird dann auch argumentiert, man wollte ja nur flirten, oder man dürfe ja nicht mal mehr flirten. Flirten heißt aber, ich bin interessiert am anderen Menschen, an der Reaktion und alles, was da passiert, ist beidseitig erwünscht. Die sexuelle Belästigung ist von mir als Person unerwünscht. Das bedeutet, es passieren Verhaltensweisen, die ich nicht will.

Wann gehe ich damit zur Polizei und wann zur GAW?

Das GlBG deckt eine ganze Bandbreite ab. Beginnend beim Hinterherpfeifen über Starren, auch Gestiken und Mimiken zählen dazu. Ein Kompliment kann ich als solches empfinden – wenn ich Kommentare, z.B. zu meinem Aussehen, aber immer wieder höre und der Person sagen muss “Bitte, lass das”, dann kann dieses Kompliment zur sexuellen Belästigung werden. Wichtig ist auch, dass Verbales natürlich auch über WhatsApp oder Ähnliches passieren kann. Das geht dann hin bis zu Berührungen oder unerwünschtem Geschlechtsverkehr. Letzteres kann schon strafrechtlich verfolgt werden. Häufig ist die erste Reaktion, zur Polizei gehen zu wollen oder dies Betroffenen zu raten. Was man natürlich tun kann, aber tatsächlich sind die meisten Fälle, die zu uns kommen, im Rahmen des GlBG. Vieles würde keinen strafrechtlichen Tatbestand erfüllen. Dafür gibt es Stellen wie unsere ja auch, oder auch die Antidiskriminierungsstelle, die Arbeiterkammer. Wichtig zu wissen ist auch, dass unsere Beratungen vertraulich sind und wir nur mit Einverständnis der Betroffenen intervenieren.

Wieder ein wichtiger Unterschied zum Strafverfahren, wo es dann Offizialdelikte sind. Sobald ich zur Polizei gehe, habe ich das nicht mehr in der Hand. Und man weiß ja, dass das eine große Hemmschwelle ist…

Genau. Es ist wichtig, auf die rechtlichen Unterschiede hinzuweisen. Es kann vorkommen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft den Vorfall nicht weiterverfolgen. Das ist für Betroffene schwer nachvollziehbar, sie sind gekränkt und verletzt. Im Grunde ist es das falsche Gesetz bzw. die falsche Einrichtung, von der ich mir Unterstützung erwarte. Wir als GAW haben in diesem Bereich einen anderen Handlungsspielraum. Wenn was passiert, können wir beraten, unterstützen und – mit Einverständnis – auch intervenieren.

Was würden Sie sich für Österreich in Bezug auf Gleichbehandlung wünschen?

Das GlBG hat aus unserer Sicht immer noch Lücken. Die geschützten Merkmale, die ich vorhin aufgezählt habe, gelten in der Arbeitswelt, sind aber in den „sonstigen Bereichen“ nicht umfassend geschützt. Hier das Gesetz anzugleichen, das sogenannte „Leveling-Up“, wäre das eine. Das andere wäre das Klagsrecht. Wir haben ja keine rechtliche Kompetenz, zu Gericht zu gehen. Die Fälle enden mit einem Vergleich – damit sind die Personen oft zufrieden, aber unser Interesse wäre es dann, wirklich Präzedenzfälle schaffen zu können. Und dann wäre noch die Frage nach mehr Personal und Budget – welche Organisation wünscht sich das nicht *lacht*. Beides hat sich über die Jahre gebessert, aber auch unsere Beratungsanfragen sind in den letzten zwei Jahren stark gestiegen. Und mein Zugang ist: Jeder Mensch, der uns anruft und schreibt, hat ein Recht auf eine adäquate Antwort. Auch wenn wir vorher schon 20 Personen hatten mit derselben Frage, überlegt man sich zumindest, welche Stelle erfasst dieses Problem, wer kann unterstützen. Der große Wunsch wäre natürlich, in einer diskriminierungsfreien Welt zu leben, wo es Einrichtungen wie unsere gar nicht braucht. Aber das ist eine riesige Herausforderung und da müssen wir alle was dafür tun.

Und was wäre Ihr Tipp für unsere Leser:innen, wenn sie etwas tun wollen?

Eleanor Roosevelt sagte sinngemäß, dass Menschenrechte an der eigenen Haustüre beginnen. Und dort kann ich bewirken. Ich kann mit meinem offenen, neugierigen Zugang Vorbild sein für andere. Ich muss mich nicht in Zivilcourage aufopfern, aber auch nicht alles tolerieren, was andere tun oder sagen. Und das klingt jetzt nicht super positiv als Abschluss, aber wenn ich die Welt verändern muss, dann muss ich auch dafür arbeiten *lacht*. Es tut niemand anderes für mich. Wenn ich sage, ich will in einer diskriminierungsfreien Welt leben, dann muss ich schauen, was läuft gut: Da kann ich mich einbringen und kann das unterstützen. Oder ich erlebe Situationen, bei denen ich im Nachhinein finde, ich hätte etwas sagen sollen. Da schaffe ich es vielleicht beim nächsten Mal, was zu sagen. Mit der Zeit erkenne ich vielleicht mehr solcher Situationen und wage wieder einen Versuch – und das ist eine tolle Leistung. Damit habe ich schon etwas bewirkt.

Wer mehr darüber erfahren möchte, wie Gleichbehandlung besser funktionieren kann, sollte unbedingt die Ausstellung besuchen. In diesem Zusammenhang werden auch Workshops zu Themen wie Rassismus, queere Lebensidentitäten oder intersektionale Diskriminierung angeboten (Programm: https://www.gleichbehandlungsanwaltschaft.gv.at/aktuelles-und-services/aktuelle-informationen/Wege-zur-Gleichbehandlung-Graz-bis-Maerz-2024.html). Die Ausstellung selbst kann noch bis 10. März 2024 in Graz besichtigt werden.

Das Interview wurde von Selina Nageler und Christina Prassl (im Bild mit Elke Lujansky-Lammer) geführt

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