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Tausche Schusswaffe gegen Tafelkreide


Eine Kooperation zwischen Bildungs- und Verteidigungsministerium hat unlängst für Aufsehen gesorgt: Bildungsminister Polaschek möchte beim Bundesheer Quereinsteiger:innen anwerben, die Kinder und Jugendliche unterrichten sollen. Den Lehrer:innenmangel so zu lösen, ist jedoch nicht nur problematisch, sondern zeugt auch von Ignoranz für die Ursprünge des Problems.

Die Situation an Österreichs Schulen ist angespannt. Zwar gab sich Bildungsminister Polaschek im Interview mit der APA unlängst optimistisch, dass sämtliche Unterrichtstunden im kommenden Schuljahr angeboten werden könnten. Aufseiten der Lehrer:innenvertretung sieht man dies jedoch anders: Fraglich sei nicht nur, ob sämtliche Stellen besetzt werden könnten, sondern auch, ob das Wegbrechen von bereits im Dienst stehenden Lehrpersonen verhindert werden könne. Denn an einigen Schulen Österreichs spürt man den oft beschworenen Lehrer:innenmangel bereits deutlich. Überstunden und überfüllte Klassenzimmer sind vielerorts bereits zum Alltag geworden und treiben Lehrkräfte teils an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Die hohe Quote an Lehramtsstudierenden, die bereits während ihres Studiums unterrichtet, spricht ebenso Bände. 1.100 waren es im vergangenen Schuljahr, hinzu kamen 4.300 Personen, die als sogenannte Quereinsteiger:innen den Lehrberuf ergriffen.

Quereinstieg als Allheilmittel?

Wenn es nach Bildungsminister Polaschek geht, soll die letzte Gruppe in Zukunft noch weiter wachsen. Aufgrund anstehender Pensionierungen wird es in den nächsten Jahren nämlich vermehrt zu Engpässen bei der Besetzung von Stellen kommen; für 2027 prognostiziert die Lehrer:innengewerkschaft ein absolutes Hoch des Lehrermangels. Manche sprechen sogar davon, dass der Höhepunkt der Pensionierungswelle schon früher erreicht wird. Bereits in anderen Berufen tätige Menschen für den Lehrberuf zu begeistern, scheint deshalb die Prioritätenliste des Ministers anzuführen. Ende letzten Jahres startete er mit der Strategie „Klasse Job“ eine Kampagne, die den Lehrberuf für neue Zielgruppen öffnen sollte. Voraussetzung für den Quereinstieg sind dabei ein facheinschlägiges Studium und min. drei Jahre Berufserfahrung. Ebenso muss parallel zur Unterrichtstätigkeit innerhalb von fünf Jahren ein Quereinsteiger:innen-Studium an einer PH absolviert werden. Das Angebot stoß durchaus auf Resonanz: Innerhalb der ersten vier Monate langten 1.000 Bewerbungen ein.

Nun soll die Offensive zur Anwerbung von Quereinsteiger:innen ausgeweitet werden, und zwar in Kooperation mit dem Verteidigungsministerium. Denn angesichts der aktuellen geopolitischen Lage streben Bildungs- und Verteidigungsministerium eine Nachschärfung im Schulsystem an. Neben der Forcierung von Inhalten wie Landesverteidigung im Lehrplan und der Bestellung von Offizieren in Lehrbuchkommissionen ist auch das Anwerben von Soldat:innen für den Lehrberuf vorgesehen. Insbesondere sollten Heeressportler:innen, Heeresmusikant:innen und Milizsoldat:innen angesprochen werden. Ein Vorgehen, das vielerorts auf Unverständnis stößt. So verortet die ÖH eine „Militarisierung des Schulsystems“ und weist darauf hin, dass andere Antworten auf den Lehrer:innenmangel gesucht werden müssen.

Dass der Quereinstieg in den Lehrberuf durchaus sinnvoll sein kann, sei nicht angezweifelt. Viele im Beruf stehende Menschen können mit wichtigen Kompetenzen aufwarten, die sie im Rahmen von Unterrichtstätigkeiten an junge Menschen vermitteln können. Gelingen kann das aber nur aus einem grundlegenden Interesse an der unterrichtenden Arbeit heraus und mit viel pädagogischem Feingefühl und Verständnis für Schüler:innenrealitäten. Zwanghaft Lehrer:innen aus Sparten anzuwerben, deren Grundverständnis von pädagogischer Arbeit nicht weiter entfernt sein könnte, erscheint als Strategie deshalb fraglich. Und auch wenn sich so manche vielleicht nach mehr „Zucht und Ordnung“ an Österreichs Schulen sehnen, so kann dieses Vorgehen auf Dauer nicht gutgehen. Was Schüler:innen nämlich brauchen, sind Pädagog:innen mit positiven Kommunikations- und Konfliktlösungsstrategien, die Lernenden mit viel Empathie und Verständnis begegnen. Es braucht positive Autorität im Sinne eines bestimmten, aber wertschätzenden Umgangs – und nicht bedingungslosen Gehorsam und Parieren. Gerade letztere Prinzipien sind jedoch grundlegend in der Philosophie des Militärs – und somit auch des Österreichischen Bundesheers – verankert. Ein solches Mantra kann auf dem Schlachtfeld seine Berechtigung haben; im Klassenzimmer ist es allerdings unangebracht.

Die Lösung liegt anderswo

Das Bundesheer mag wichtige Dienste – insbesondere im Bereich des Katastrophenschutzes – leisten. Den Lehrer:innenmangel kann und wird es aber nicht beseitigen. Nachhaltige Lösungen für den Mangel an Lehrpersonen können nur gefunden werden, wenn das Problem an der Wurzel gepackt wird – und die liegt woanders. Auszuklammern scheint Polaschek z.B. den Fakt, dass viele Lehrkräfte schon nach wenigen Berufsjahren den Lehrberuf wieder verlassen. Geringes berufliches Wohlbefinden bei Lehrer:innen hat in Österreich gewissermaßen Tradition: Schon in der TALIS-Studie von 2008 belegte Österreich gemeinsam mit Portugal den dritten Platz jener Länder, die die höchsten Raten an personalbezogenen Beeinträchtigungen vorzuweisen hatten. In der Studie gaben außerdem 70% der Befragten an, nicht ausreichend auf Support-Personal zurückgreifen zu können. Die Studie ist mittlerweile ein wenig in die Jahre gekommen, die aufgezeigten Probleme sind aber kaum Schnee von gestern: In einer Studie von 2019 sah die ARGE Burnout die psychische Gesundheit von ganzen 14 Prozent der österreichischen Lehrer:innen als gefährdet, womit Lehrkräfte die berufliche Risikogruppe Nummer 1 für Burnout hierzulande sind. Bei der Beseitigung des Lehrer:innenmangels geht es somit nicht nur darum, Menschen für den Lehrberuf zu begeistern. Es geht vor allem auch darum, sie in diesem zu halten. Und das kann nur durch entsprechende Maßnahmen erreicht werden, die den psychosozialen Support für Lehrer:innen ausbauen und Hilfestellung bei Mehrbelastungen bieten.

Abgesehen von diesen Maßnahmen für bereits im Beruf stehende Pädagog:innen gilt es aber auch, das Lehramtsstudium grundlegend zu attraktiveren. Das aktuelle Studium in seiner 6-jährigen Form wird von vielen Studierenden als zu lange und zu praxisfern erlebt. Eine Kondensierung auf ein 5-jähriges Studium, das neben einer fundierten fachlichen Ausbildung auch praxisnahe pädagogische und didaktische Inhalte vermittelt, würde eine Attraktivierung des Studiums bringen. Wichtig wäre dabei ein Fokus auf mehr praxisrelevante Fachinhalte und eine pädagogische Ausbildung, die neben abstrakteren bildungswissenschaftlichen Konzepten auch explizit jene Kompetenzen vermittelt, die Lehrpersonen brauchen, um sich in ihrem Job wohlzufühlen und auch ihren Schüler:innen ein Gefühl von schulischem Wohlbefinden zu vermitteln. Dazu gehören Lehrveranstaltungen zu psychosozialen Aspekten des Schullebens, Kommunikationstrainings, Gruppendynamikschulungen u.v.m. An alledem fehlt es aktuell noch. All das wären jedoch wichtige Fertigkeiten professioneller Pädagog:innen, die ihren Job lange Zeit ausführen können, ohne dabei psychisch zu ermüden.

Wann eine solche Wurzelbehandlung der Lehrer:innenbildung erfolgt, steht aktuell jedoch in den Sternen. Vorerst begnügt sich der Bildungsminister damit, die Löcher im Bildungssystem durch kosmetische Füllungen zu stopfen. Wer den Preis dafür zahlt? Überforderte Pädagog:innen und vor allem die Kinder und Jugendlichen unseres Landes.


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