Rammstein – zwischen Tanzmetal und sexuellem Missbrauch
Schon seit Mai 2023 werden immer mehr Vorwürfe gegen die Band Rammstein laut: sexueller Missbrauch, Machtmissbrauch und Drugging*. Die Reaktion der Band ist uneinsichtig; statt auf Vorwürfe einzugehen, wird mit Anwälten und Klagen gedroht. Doch wie kann es sein, dass eine Band, die über einen solchen Bekanntheitsgrad verfügt, ungeschoren davonkommt? Spielen ethische Aspekte eine Rolle, wenn es um Musik und Konzerte geht? Dürfen Konzerte unter solchen Vorwürfen stattfinden?
Bandgeschichte
1994 gründete sich die Band Rammstein in Ost-Berlin mit sechs Bandmitgliedern, darunter Till Lindemann, der im Zentrum der aktuellen Vorwürfe steht. Rammstein fällt unter das Musikgenre „Neue Deutsche Härte“, wobei die Band ihren Musikstil als Tanzmetal bezeichnet. Der Name der Band geht auf ein Flugschauunglück zurück, bei dem einige Menschen verstarben.
Mit über 20 Millionen verkauften Tonträgern genießt die Band weltweit einen enormen Bekanntheitsgrad. Ihre Konzerte sind quer über den Globus restlos ausverkauft. Der Erfolg der Band basiert vermutlich auf provokativen Texten und ihren Bühnenshows; die eingesetzten Feuereffekte, die bei jeder live Show genutzt werden, sind spektakulär. Seit Monaten steht die Band quasi dauerhaft in den Schlagzeilen – allerdings nicht aufgrund des musikalischen Talents.
Aktuelle Vorwürfe
Ende Mai 2023 waren alle sozialen Netzwerke voll davon; jede:r wusste es: Es gibt einen neuen Rammstein-Skandal. Anders als davor, ging es diesmal nicht um die Nutzung nationalsozialistischer Symbole und Phrasen, sondern um sexuellen Missbrauch. Die Irin Shelby Linn berichtete öffentlich über ihre Erfahrungen bei einem Rammstein-Konzert und der folgenden After-Show-Party in Vilnius. Ihr seien Drogen in ihre Getränke gemischt geworden, in der Mitte des Konzertes sei sie mit Lindemann in einem Raum gewesen, der auf ihre sexuelle Zurückweisung aggressiv reagiert haben soll. Am nächsten Tag sei sie mit blauen Flecken und Erinnerungsverlusten aufgewacht.
Ihre Geschichte ist anscheinend kein Einzelfall. Der Anheuerungsprozess, durch den junge Frauen eine Einladung für die erste Reihe während des Konzertes und die After-Show-Party erhalten haben sollen, sei über eine Mitarbeiterin Rammsteins abgewickelt worden. Sie habe die Frauen über soziale Medien kontaktiert und anhand des Aussehens Einlass gewährt. Nach publik werden der ersten Vorwürfe meldeten sich immer mehr junge Frauen und bestätigten Lynns Bericht. Auch YouTuberin Kayla Shyx äußerte sich in einem YouTube-Videos dazu und schilderte, wie sie selber eine ähnliche Situation auf einer Rammstein After-Show-Party erlebte.
Ignoranz statt Aufarbeitung
Vor wenigen Tagen wurden auch Anschuldigungen gegen den Keyboarder der Band, Christian Lorenz, erhoben. Eine junge Frau berichtete, nach einer Autogrammstunde Alkohol mit Lindemann und Lorenz konsumiert zu haben, wonach sie sich ungewöhnlich berauscht fühlte. Lorenz soll sich im Laufe des Abends zu ihr in ein Bett gelegt und Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt haben. Die Frau sei unfähig gewesen, sich zu wehren oder nein zu sagen. Eine andere Frau berichtet von ähnlichen Erlebnissen.
Im ersten Statement der Band hieß es, dass jede:r ein Recht auf seine / ihre Sicht der Dinge habe und Anfeindungen der anschuldigenden Personen zu unterlassen sein. Des Weiteren stand geschrieben, dass auch die Band ein Recht darauf habe, nicht vorverurteilt zu werden. Von dem ursprünglichen Recht auf die jeweilige Sicht der Dinge scheint die Band relativ schnell wieder abgekommen zu sein; statt dem Zulassen von Schilderungen oder gar dem Interesse an der Aufarbeitung der Vorwürfe wird nun mit Unterlassungsklagen gedroht und Anwält:innen wurden längst eingeschalten.
Trotz aller Vorwürfe gegenüber der Band scheint das treue Fans nicht zu schockieren. Die Konzerte sind weiterhin restlos ausverkauft; Musik scheint hier eindeutig über moralischen Aspekten zu stehen. Wie es möglich ist, bei solchen Vorwürfen einfach als Band weiterzumachen, ohne sich rechtfertigen zu müssen oder Konsequenzen zu erfahren, ist fraglich. Keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung, keine Aufarbeitung – Band und Fans feiern munter weiter. Es zeigt einmal mehr, dass die Musikindustrie patriarchal dominiert ist.
Quellen
https://www.ndr.de/kultur/musik/Neue-Vorwuerfe-gegen-Rammstein-Worum-gehts,rammstein172.html
https://www.rammstein.de/de/history/
https://www.goethe.de/ins/cz/de/kul/mag/22290728.html
*Drugging = Eine Person unbemerkt unter Substanzeinfluss setzen