Heute bleibe ich – vielleicht nicht mehr – zuhause
Eine Präsentation in der Schule halten, mit anderen ein Gespräch führen, fremde Menschen treffen oder eine Veranstaltung besuchen – das sind alles Dinge, die wir jeden Tag machen und die vielen Menschen keine Schwierigkeiten bereiten. Für Personen, die unter sozialer Phobie leiden, sind solche alltäglichen Situationen allerdings nur sehr schwer oder gar nicht bewältigbar.
Das MSD-Manual definiert eine soziale Phobie als „die Furcht und die Angst davor, mit bestimmten sozialen Situationen oder Auftritten konfrontiert zu werden. Diese Situationen werden entweder vermieden oder nur unter erheblicher Angst ertragen.“[1] Es handelt sich dabei um Situationen, in denen die Betroffenen beobachtet oder bewertet werden bzw. haben die Betroffenen den Eindruck, dass dies der Fall ist. Dadurch entsteht die Angst, dass sie von anderen Menschen als komisch oder peinlich wahrgenommen werden könnten. Ebenso kann die Angst vor negativen Bewertungen durch Anwesende eine Rolle spielen, indem Erwartungen enttäuscht oder (soziale, gesellschaftliche) Normen nicht eingehalten werden. Jedoch können die Betroffenen dieselben Handlungen ohne Probleme ausführen, wenn sie nicht beobachtet werden – das können auch ganz triviale Tätigkeiten sein wie etwa ein Stück Papier wegwerfen oder eine Tür öffnen.
Die Angst ist unverhältnismäßig
Diese Angst ist allerdings oftmals unbegründet und zudem unverhältnismäßig. Es wird von den Betroffenen überbewertet, wie sehr andere Personen auf sie achten: Personen, die unter einer sozialen Phobie leiden, wissen etwa nicht, was sie während des ohnehin schon gefürchteten Smalltalks mit ihren Händen anfangen sollen und fühlen sich in jeder Position unnatürlich. Oder sie fühlen zum Beispiel die scheinbar brennenden Blicke aller auf ihrem Rücken, während sie hoffen, bei der „Drücken“-Seite der Tür nicht zu ziehen. Tatsächlich ist Vieles davon aber Einbildung, denn das Umfeld interessiert sich gar nicht so sehr für alle einzelnen Kleinigkeiten jeder ihrer Handlungen. Betroffenen ist das auch oft bewusst, doch eine irrationale Angst kann nicht einfach so abgestellt werden.
Soziale Angststörungen können sich durch verschiedene Symptome äußern, wie etwa Erröten, übermäßiges Schwitzen, Herzrasen, Panikattacken oder kurze Blackouts im Denken. Dieser – dann nicht nur mentale, sondern auch körperliche – Stress führt schließlich dazu, dass die angstauslösenden Situationen ganz gemieden werden. Als Konsequenz leiden die sozialen Beziehungen zu Familie, Freund:innen sowie auch die schulische und berufliche Funktionsfähigkeit darunter, weil sich die Betroffenen abschotten und Aufgaben ihres täglichen Lebens nicht mehr bewältigen können. Das kann so weit gehen, dass die Betroffenen nicht mehr oder nur für das Nötigste ihre Wohnung verlassen können.
Eine der häufigsten psychischen Störungen
Soziale Phobie ist eine der häufigsten psychischen Störungen: 7-16 % aller Menschen haben zumindest einmal im Lauf ihres Lebens mit einer sozialen Phobie zu kämpfen. Angststörungen treten zudem häufig gemeinsam mit anderen psychischen Störungen wie Depressionen auf und beginnen meist schon im Jugendalter.[2] Ist die soziale Phobie chronisch und so scherwiegend, dass die Betroffenen es nicht mehr schaffen, sie alleine zu bewältigen, können sie sich an Fachärzt:innen und Psychotherapeut:innen wenden.
Es braucht mehr Verständnis
Wie auch bei anderen psychischen Störungen und dem Thema mentale Gesundheit liegt es an der Gesellschaft (das sind wir alle!) und der Politik, endlich die Tabus aus der Welt zu schaffen, sodass Betroffene den Mut haben, sich Hilfe zu suchen. Das ist nämlich nicht ein Zeichen von Schwäche – wie es oft dargestellt wird – sondern zeugt im Gegenteil von Stärke. Zusätzlich kann jede:r dazu beitragen, angstauslösende Situationen etwas weniger bedrohlich zu machen, indem zum Beispiel für ein Treffen keine Plätze mit vielen Menschen gewählt werden oder Meldungen in Vorstellungsrunden nicht verpflichtend sind. Das Wichtigste bleibt, mehr Aufmerksamkeit für die Leiden der Betroffenen und damit mehr Toleranz ihnen gegenüber zu schaffen. Wissen andere, dass Personen mit einer sozialen Phobie zu kämpfen haben, können sie ihr Verhalten anpassen und anbieten, ein Gespräch zu führen, in dem man gemeinsam herausfindet wie Situationen und Interaktionen angenehmer gestaltet werden können.
Quellen
[1] https://www.msdmanuals.com/de/profi/psychische-st%C3%B6rungen/anst-und-stressbezogene-erkrankungen/sozialphobien
[2] https://www.ivah.de/patienten-psychische-stoerungen-soziale-phobie-haeufigkeit.html