Brauchen wir den Pride Month heutzutage wirklich noch?
Triggerwarnung: Im Folgenden Text geht es unter anderem um die Themen Queerphobie, Gewalt, Mobbing und Suizid.
Im Juni wird jährlich der Pride Month gefeiert, der für die Antidiskriminierung von queeren Personen steht und auf Proteste aus dem Jahr 1969 zurückgeht. In den letzten fünfzig Jahren hat sich einiges zum Positiven verändert, daher denken viele Menschen, dass queere Personen heutzutage bereits gleichberechtigt sind und der Pride Month daher nicht mehr gebraucht wird. Aber ist das wirklich so?
Im Juni feiern wir wieder den Pride Month. Dieser geht auf den Juni 1969 zurück, in dem sich queere[1] Menschen zum ersten Mal gegen polizeiliche Gewalt, die ihnen gegenüber ausgeübt wurde, gewehrt haben. Danach bzw. über die letzten fünfzig Jahre hat sich einiges zum Positiven verändert. Beispielsweise wurde Homosexualität in vielen Ländern entkriminalisiert, gleichgeschlechtliche Paare können mittlerweile an vielen Orten heiraten und es wurden mehrere Antidiskriminierungsgesetze eingeführt. Viele Menschen sind daher der Meinung, dass queere Personen heutzutage gleichberechtigt und der Pride Month und Pride-Paraden daher überflüssig sind. Viele finden sogar, dass sich queere Personen nicht so aufdrängen sollen, und sind genervt von den Regenbögen, die man im Juni vermehrt sieht.
Bevor man allerdings fragt „Brauchen wir den Pride Month heutzutage wirklich noch?“, sollte man sich zuerst lieber selbst Gedanken über die folgenden Fragen machen:
- Wie oft hast du schon wegen deiner Sexualität oder deines Geschlechts Gewalt erfahren?
- Wie oft hat schon jemand etwas von dir absichtlich zerstört, weil man daran erkennen konnte, wofür du stehst?
- Wie oft mussten schon Sicherheitsvorkehrungen für eine Veranstaltung getroffen werden, um dich und alle anderen Teilnehmenden an der Veranstaltung vor Personen zu schützen, denen ihr einfach nicht passt?
- Wurdest oder wirst du wegen deiner Sexualität oder deines Geschlechts gemobbt?
- Wie oft hattest du beim Feiern in einem Club oder einer Bar schon Angst, verprügelt oder sogar erschossen zu werden?
Die meisten heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Menschen können die meisten dieser Fragen vermutlich mit „nein“ oder „nie“ beantworten. Für queere Menschen sieht das jedoch anders aus:
- Man mag meinen, dass die Gesellschaft sich immer weiterentwickelt und deswegen auch Straftaten aufgrund von Sexualität oder Geschlecht weniger werden. Bei einer im Jahr 2020 veröffentlichten Umfrage der Europäischen Union für Grundrechte kam jedoch heraus, dass queere Personen im Alltag nach wie vor diskriminiert und angegriffen werden. So gaben beispielsweise 11 % der befragten homosexuellen und 17 % der befragten trans Personen an, dass sie in den letzten fünf Jahren aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts verbal oder physisch angegriffen wurden. In unserem Nachbarland Deutschland ist die Anzahl der Hassverbrechen gegen queere Menschen im Jahr 2022 sogar enorm angestiegen.
Diskriminierung in Zahlen – Schwule, Lesben und Transgender-Personen
Zahl der queerfeindlichen Straftaten explodiert weiter - Das Schaufenster des Vereins RosaLila PantherInnen, der LGBTQ[2]-Interessensvertretung der Steiermark, wurde schon des Öfteren beschädigt. Auch hier kann man von Hassverbrechen ausgehen, da nie etwas gestohlen wurde. Zudem kommt es immer wieder vor, dass Personen Pride-Fahnen öffentlich verbrennen oder anderweitig zerstören, um ihren Hass gegenüber der queeren Community auszudrücken.
Anschlag auf das feel free – mehrere Glasscheiben eingeschlagen
Wie schon im Vorjahr: Bruckner Regenbogenfahne nach nur einer Woche zerstört - Sicherheitsvorkehrungen sind natürlich für Veranstaltungen jeglicher Art wichtig. Es ist allerdings traurig, wenn eine Veranstaltung überhaupt nur dann stattfinden kann, wenn die Personen auf dieser Veranstaltung von der Polizei geschützt werden. So konnte die Pride Parade 2022 in Jerusalem beispielsweise nur mit Anwesenheit von Scharfschütz*innen stattfinden. Auch bei uns in Österreich gibt es ähnliche Aktionen. Kinderbuchlesungen von Dragqueens (bei denen es im Übrigen überhaupt nicht um Sexualität oder Gender-Themen geht, was jedoch fälschlicherweise von vielen Menschen angenommen wird) sorgten in letzter Zeit vermehrt für Aufregung, wodurch die Lesungen auch nur unter Bewachung der Polizei stattfinden konnten.
Jerusalem Pride: Parade unter den Augen von Scharfschützen
Proteste gehen weiter: Polizei bewacht Grazer Kinderbuchlesung durch Dragqueens - Es kann viele verschiedene Gründe geben, weswegen Menschen andere Menschen mobben. Auch wenn Mobbingopfer nie selbst Schuld für das Mobbing tragen, fühlen sie sich oft minderwertig. Im schlimmsten Fall kann dies sogar zum Suizid führen.
Queerness spielt hier leider nach wie vor eine große Rolle. So werden queere Jugendliche nach wie vor häufig gemobbt und nehmen sich aus diesem Grund auch oft das Leben. Laut einer amerikanischen Studie liegt die Selbstmordrate von queeren Jugendlichen bei 20,7 %, bei nicht-queeren „nur“ bei 4,4 %. Dies ist natürlich nicht nur in den USA ein Problem, sondern auf der ganzen Welt. Jede einzelne Person, die Mobbing erfährt und sich das Leben nimmt, ist natürlich eine zu viel – allerdings könnte die Selbstmordrate der Jugendlichen um einiges vermindert werden, wenn unsere Gesellschaft mehr Akzeptanz zeigen würde.
Mobbing treibt Selbstmordrate unter queeren Jugendlichen nach oben - LGBTQ-Clubs und -Bars sollen eigentlich ein sicherer Ort für queere Personen sein, an dem sie so sein können, wie sie sind, und einfach Party machen und Spaß haben können. Genau diese Clubs und Bars werden allerdings oft Ziel von Angriffen. Teilweise kommt es sogar zu Schießereien – und das nicht nur in den USA, wo man Schießereien aufgrund der dortigen nicht sonderlich strengen Waffengesetze eher erwartet, sondern auch bei uns in Europa. Ansonsten sind Prügelattacken oder queerphobe Beschimpfungen üblich. Beim queeren Clubbing Fagtory wurden vor kurzem beispielsweise Partygäste in der Warteschlange mit Flaschen beworfen.
USA: Fünf Tote bei Schüssen in LGBTI-Club
Tote und Verletzte nach Schüssen vor Gay-Bar in Bratislava
“Fagtory Club”: Wirbel um homophoben Angriff auf Warteschlange vor Postgaragen-Party
Dies sind nur einige Beispiele aus den letzten drei Jahren, an denen man gut erkennen kann, inwiefern queere Personen nach wie vor diskriminiert und missachtet werden. Die Frage danach, ob wir den Pride Month heutzutage wirklich noch brauchen, lässt sich also eindeutig beantworten: JA. Ja, wir brauchen den Pride Month noch. Es geht beim Pride Month nämlich nicht darum, alles mit Regenbögen zu schmücken und anderen Menschen die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität aufzudrücken. Es geht vielmehr darum, ein Zeichen gegen die Diskriminierung und Gewalt zu setzen, die queere Menschen nach wie vor erfahren, also ein Zeichen für Zusammenhalt und Akzeptanz. Der Pride Month soll zudem eine Erinnerung an all die Dinge sein, die sich bereits zum Positiven verändert haben, aber auch an jene Punkte, die sich in Zukunft noch unbedingt ändern müssen. Wir brauchen den Pride Month auch heutzutage noch, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Und gleichzeitig wollen wir ihn auch, um unsere Vielfalt zu feiern, die etwas Wundervolles ist.
Anlaufstellen für junge queere Personen und weitere Informationsressourcen:
Graz: Beratungsangebote der RosaLila PantherInnen
Wien: Rat & Hilfe Homosexuelle Initiative
Uni Graz: Büro des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen
Schulworkshops der RosaLila PantherInnen (auch Workshops an Unternehmen etc. möglich)
Quellen
[1] Queer ist der Oberbegriff für alle nicht-heterosexuellen und nicht-cisgeschlechtlichen Personen. Cisgeschlechtlich bedeutet, dass eine Person sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei ihrer Geburt zugeschrieben wurde.
[2] LGBTQ ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bi, Transgender und Queer.