Kenne deine Rechte

Mit technologischem Optimismus gegen die Wand.


Scheinbar unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum prägte die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte, doch das Vertrauen in diese Ideologie schwindet – nicht jedoch in liberalen Kreisen, die auf die menschliche Kreativität und Innovationsgeist hoffen. Wieso dieser technologischer Optimismus nicht die Lösung der langsam eskalierenden Nachhaltigkeits- und Klimakrise ist, wird im folgenden erforscht.

Kürzlich erschien ein Artikel mit dem Namen “Wieder geht die Welt nicht unter” im Magazin Pragmaticus (Ausgabe 3 – April 2023), geschrieben von Justus Enninga. Ein weiterer Artikel der Kategorie – die Wirtschaft wird’s schon richten. Anfangs wird ein Bild von “Untergangsfantasien” der Letzten Generation und “anderer radikaler Gruppen” gezeichnet. Insbesondere wird der Bericht “Die Grenzen des Wachstums” des Club of Rome kritisiert. Diese Studie aus dem Jahr 1972 untersuchte mögliche Zukunftsszenarien für die Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft und beruhte auf Computersimulationen. Seine Hauptaussagen, nämlich die Gefahr des scheinbar unbegrenzten Wachstums, wird vom Autor des Pragmaticus-Artikels jedoch gekonnt umschifft. Die Hauptaussage von Justus Enningas Text ist, dass Wachstum nicht die Ursache der Klimakrise sein wird, sondern die Lösung. Menschliche Kreativität wird uns retten, so seine vage Prognose.

Auch wenn die Menschheit schon seit Anbeginn ihrer Geschichte sich durch großen Innovationsdrang ausgezeichnet hat, können wir nicht darauf hoffen, dass dieser unsere Klimakrise lösen wird. Der Autor des besagten Artikels ist Teil von “Promotheus”, das sich als Freiheitsinstitut bezeichnet und dezentrale Lösungen und den individuellen Unternehmergeist als Lösung für die Zukunft sieht. Daher ist es kein Wunder, dass Justus Enninga ein “technologischer Optimist” ist, genau so wie viele Politiker:innen im konservativen und liberalen Spektrum. In der Suche nach Literatur zu technologischen Optimisten konnte ich keine Primärliteratur finden, die meisten wissenschaftliche Papers, geschrieben von Wissenschafter:innen aus verschiedensten Feldern, kritisieren die Idee des technologischen Optimismus auf heftigste.

Entkoppelt von jedem Hausverstand

Technologischer Optimismus hinterfragt das zugrundeliegende Problem der Klimakrise nämlich nicht – unser scheinbar grenzenloses Wachstum. Die Hoffnung hinter dieser Ideologie ist, unseren Lebensstil einfach so fortzuführen wie bisher, und einfach die Symptome mit effizienteren Technologien zu lindern. Eine zentrale Idee hierbei ist die des “Decouplings”.

Decoupling bezeichnet die Idee, dass man Wirtschaftswachstum und Emissionen durch effizientere Technologien und Veränderungen im Wirtschaftssystem voneinander trennen kann. Bisher stiegen die Treibhausgasemissionen gemeinsam mit der Wirtschaft, das bedeutet, wenn die Wirtschaft und damit auch unser Lebensstil wächst, wachsen mit diesen auch die Emissionen. Decoupling bezeichnet die Hoffnung, in Zukunft weiteres Wachstum zuzulassen, aber ohne zusätzlichen Emissionen. Bisher scheint diese Hoffnung jedoch nicht aufzugehen – die Emissionen sinken kaum, die Wirtschaft verbraucht noch immer mehr Ressourcen, als unserem Planet und der Zukunft der Menschheit guttut. Daher kann nicht damit gerechnet werden, dass sich wirtschaftliches Wachstum von zusätzlichen Emissionen trennen lässt, auch nicht durch starken technologischen Fortschritt.

Effiziente Luftschlösser

Auch wenn die wissenschaftlichen Errungenschaften und Durchbrüche von neuen Technologien der letzten Jahre wirklich beeindruckend sind und helfen, sorgsamer mit Ressourcen umzugehen, ist die Hoffnung auf Decoupling zu kurz gedacht. Insbesondere sind manche waghalsige Ideen entweder kaum umsetzbar, oder verursachen noch weitaus mehr Probleme als sie lösen. Ein Beispiel hierzu sind viele Formen von Carbon Capture and Storage-Technologien. Diese sollen CO2 aus der Atmosphäre oder Emissionen von Fabriken einfangen und zum Beispiel in großen Lagern unter der Erde speichern. Eine Menge liberaler Idealisten pochen auf diese. Jedoch beinhalten diese Technologien große Risiken und sind nicht nur teuer, sondern oft auch noch sehr ineffizient – die Zeit, auf diese Technologien zu hoffen, haben wir eindeutig nicht mehr.

Enninga nennt selbst ein weiteres Beispiel – die grüne Revolution, die uns vor Massenhungersnöten gerettet hat. Ja, das ist richtig, die Effizienz der Landwirtschaft konnte durch die Industrialisierung der Saatgutindustrie und Düngemitteln stark erhöht werden. Was jedoch nicht erwähnt wird, ist, dass die Effizienz in den letzten Jahren wieder start abgenommen hat. Von der Übermacht von Monokulturen und Gentechnik, daraus folgende Degeneration der Böden durch sehr schädliche Dünge-Praktiken bis zu Humus-Abbau. Die grüne Revolution frisst ihre Kinder.

Wir haben keine Zeit für Fantasie

Ein sehr großes Problem in der Klimapolitik ist, dass die Konsequenzen der Maßnahmen erst sehr spät spürbar werden. Wenn Politiker:innen heute beispielsweise den Autoverkehr mit Fahrverboten stark regulieren, werden Autofahrer:innen heute stark betroffen sein und sich eventuell wehren, während die positiven Effekte von niedrigeren Emissionen erst in Zukunft wirklich spürbar sind. Genauso ist es umgekehrt auch beim Massenkonsum. Heute merken wir die Konsequenzen der Produktion unseres Wohlstandes im globalen Norden kaum, während der daraus resultierende Klimawandel ein sehr langfristiges Problem ist.

Bisher wirkt der technologische Optimismus eher wie ein Coping Mechanism, der es erlaubt, über die langfristigen Konsequenzen unseres Wirtschaftens einfach nicht weiter nachdenken zu müssen. Natürlich ist Vertrauen in die Innovation und Wissenschaft sehr wichtig und richtig, doch gerade die Klimawissenschafter:innen warnen schon lange, dass sich das Fenster, die Erderhitzung unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, immer schneller schließt, je länger wir mit ernsthaften Veränderungen in unserer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft warten.

Wieso trauen wir uns nicht, dieses Wachstum zu hinterfragen? Vor allem – wem nutzt dieses Wachstum wirklich? Wieso wollen wir “sauberer” wachsen, anstatt wirklich das System zu überdenken, dass nur einem winzigen Bruchteil der darin Lebenden nutzt?
Sehr viele Probleme haben die gefährliche Ideologie von grenzenlosem Wachstum und zu hohem Vertrauen in unsere Anpassbarkeit zur Ursache. Je länger wir auf technologischen Optimismus pochen, desto schneller läuft uns die Zeit davon.

Originalkunstwerk von (c) Alexandra Lehner

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