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Zwischen Ohnmacht und Alarmismus


1,5 Grad Celsius. Nur so viel darf die Temperatur global gerechnet gegenüber dem vorindustriellen Niveau steigen, ohne dass verheerende Folgen für unseren Planeten eintreten. Neuesten Berichten zufolge haben wir dieses 1,5-Grad-Ziel jedoch schon so gut wie verpasst. Klima, Meeresspiegel und Ökosysteme werden sich verändern – und das nicht zu unseren Gunsten. Dennoch fordern gar nicht so wenige Menschen mehr Zuversicht in der Klimadebatte und insbesondere von jungen Menschen mehr Zukunfts-Optimismus. Doch ist das wirklich angebracht?

Klimaangst oder Hysterie?

Knapp 60 % aller 16- bis 25-Jährigen haben in einer internationalen Studie angegeben, dass sie sehr oder extrem besorgt sind aufgrund des Klimawandels und der Erderhitzung. 45 % der Studienteilnehmer:innen meinten sogar, dass diese Besorgnis sie in ihrem täglichen Leben belastet und ihr Handeln im Alltag erschwert.[1] Traurig, ängstlich, wütend und machtlos fühlen sich Menschen, wenn sie von „Klimaangst“ sprechen.

Im November sorgte eine Fernsehdiskussion zwischen TV-Persönlichkeit Markus Lanz und Klimaaktivistin Carla Rochel von der Gruppe „Letzte Generation“ für Aufsehen. Rochel argumentierte, dass die Protestform der „Letzten Generation“, nämlich Straßenblockaden durch das Ankleben am Asphalt, notwendig wäre, damit die Klimakrise endlich genügend Aufmerksamkeit bekäme. Schließlich würde es nicht mehr reichen, „mit bunten Schildern auf die Straße zu gehen“, denn mit all den Petitionen und Demonstrationen wurde einfach nicht genügend erreicht. Lanz wiederum warf der Klimaaktivistin vor, mit der Warnung vor einer Klimakatastrophe „die Apokalypse an die Wand“ zu malen. Er verfiel in einen Monolog: „Was ist das für ein Menschenbild? Sie sitzen hier mit 20. Sie müssten optimistisch sein. Sie müssten Zutrauen haben in die Fähigkeiten von Menschen. […] Unsere ganze Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte der Anpassung.“ Anpassung ist jedoch nicht unbeschränkt möglich. Grenzen der Anpassungsfähigkeit an eine zukünftige Temperaturerhöhung sind für manche menschliche und ökologische Systeme laut IPCC-Bericht bereits bei 1,5 °C Erderwärmung erreicht. Vielleicht ist Markus Lanz dieser Umstand gar nicht bewusst.

Den Ernst der Lage nicht verkennen

Teile der Medienberichterstattung und gewisse konservative Politiker:innen geben einem das Gefühl, für sie sei nicht der Klimawandel selbst, sondern der „Klima-Alarmismus“[2] die größere Bedrohung. Markus Lanz beispielsweise sagt, ihn störe das Gerede von Zeitfenstern, die sich schließen – dass ihm dieser ganze Diskurs zu „apokalyptisch“ sei. Klimaforscher Stefan Rahmstorf hingegen meint: „Manche Menschen können nicht unterscheiden zwischen Alarmismus und alarmierenden Tatsachen.“[3]

Die Korrelation zwischen Erderhitzung und den (zu) hohen Emissionen ist nun einmal ein empirischer Fakt. Bereits jetzt gehen Wissenschafter:innen davon aus, dass sich die Erde gegenüber der vorindustriellen Zeit (Mittelwert der Jahre 1850 bis 1900) um rund 1,2 °C erwärmt hat. Schon heute spüren wir die Folgen dieser Entwicklung: Extremwetterereignisse nehmen zu und werden intensiver. In den nächsten Jahren können auch Ernten (insbesondere in der tropischen Klimazone) schlechter ausfallen und somit die Nahrungsmittelversorgung destabilisieren.[4] Laut einem neuesten Bericht des Exzellenzcluster CLICCS der Universität Hamburg ist die Erreichung des 1,5-Grad Ziels bereits 2023 nicht mehr plausibel – der globale gesellschaftliche Wandel ginge dafür einfach zu langsam. Jetzt geht es darum, uns auf die Folgen dieser Schwellenwertüberschreitung vorzubereiten.

Doch was heißt es, wenn sich die Erde um 2 oder 3 °C erhöht? Bis +2 °C nehmen Hitzewellen zu und Dürren und Flutkatastrophen plagen uns häufiger. Darüber hinaus werden unsere Sommer so heiß, dass ein Aufenthalt im Freien tödlich sein kann – zudem werden Nahrungsmittel spürbar knapper. Wenn wir so weiter machen wie bisher, erreichen wir vermutlich eine Erderwärmung von 3,2 °C am Ende dieses Jahrhunderts. Das würde bedeuten, dass es ein hohes Risiko einer unkontrollierbaren Erderhitzung und Fluchtbewegungen aufgrund der steigenden Meeresspiegel und Hungersnöte für Milliarden Menschen gäbe. Die Verknappung der Ressourcen könnte außerdem dazu führen, dass das Risiko von Kriegen und Konflikten stark ansteigt. Nur zur Relation: Menschen, die heute zwischen 20 und 29 Jahren alt sind, erleben wahrscheinlich einen Temperaturanstieg von 2,5 °C.[5]

Die Mühlen mahlen zu langsam

Auch wenn es frustrierend sein mag, dass wir den Kampf um das 1,5-Grad-Ziel vermutlich bereits verloren haben: Jedes Zehntelgrad zählt. Die Begrenzung der Erderwärmung auf 2 °C, also die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels, ist derzeit noch möglich – wenn wir jetzt endlich wirksame Maßnahmen setzen. Beinahe täglich gibt es Berichte über Einzelpersonen und Gruppierungen, die versuchen, eine Trendwende in der heimischen Klimapolitik herbeizuführen. Seien es „Klimakläger:innen“ oder „Klimakleber:innen“: Sie alle verbindet das Gefühl, dass die Politik der Klimakrise nicht genügend Aufmerksamkeit schenkt. Insbesondere in Österreich kommt das wohl nicht von ungefähr, so haben wir seit über zwei Jahren kein Klimaschutzgesetz[6] und somit keine verankerten Treibhausgas-Reduktionsziele mehr.

Kein Wunder, dass sich das neue Klimaschutzgesetz zieht wie Warten auf Godot: So meinte ÖVP-Klimasprecher Johannes Schmuckenschlager erst kürzlich, er hätte „kein Problem damit“, wenn das Klimaschutzgesetz nun gar nicht mehr kommt.[7] Schmuckenschlager ist im Übrigen auch der Meinung, dass es falsch sei, „Gesetze zu bauen, die bis in die Zukunft weitere Regierungen binden“. Genauso wäre die Verankerung des Klimaschutzes auf Verfassungsrang ein „No-Go“ für ihn.[8] „Klimaangst“ hatte Herr Schmuckenschlager wohl noch nie. Mit Mitte 40 werden ihn die Auswirkungen der Klimakrise vermutlich auch nicht mehr in vollem Ausmaß betreffen. Seine Kinder möglicherweise schon. Ob sie später einmal sagen werden, das war alles reine „Klimahysterie“?

Quellen

[1] Strategien gegen die Klimaangst | Marlene Erhart (19.11.2022)

[2] „Alarmismus“ (umgangssprachlich auch „Panikmache“) ist ein politisches Schlagwort, mit welchem eine unnötige oder überzogene Warnung vor Problemen bzw. gesellschaftlichen Fehlentwicklungen bezeichnet oder behauptet wird.

[3] Alarmismus, Klima und Markus Lanz | David Zauner (2.2.2023)

[4] Was ist das 1,5-Grad-Ziel? | Christopher Schulz (23.11.2022)

[5] Klimakrise: So heiß könnte es in deinem Leben noch werden | Sebastian Panny (20.7.2021)

[6] Das 2011 beschlossene und zuletzt 2017 geänderte Klimaschutzgesetz (KSG) setzte Emissionshöchstmengen fest und regelte die Erarbeitung und Umsetzung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen. 2020 ist der Verpflichtungszeitraum des österreichischen Klimaschutzgesetzes abgelaufen – seither gibt es also keine Zielwerte mehr.

[7] „Kein Problem“: ÖVP-Klimasprecher könnte auf Klimaschutzgesetz verzichten | Stephan Hofer (9.11.2022)

[8] Klimaschutzgesetz: „Dieses Brett werden wir auch noch durchbohren“ | Kurier (11.11.2022)


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