Kenne deine Rechte

Who kehrs?


Welcher ist der erste systemrelevante Beruf, der dir einfällt? Vermutlich denken die meisten Menschen zuerst an Pflege, medizinische Betreuung, an Ärzt:innen oder auch an Kassierer:innen. Verständlich, denn der Begriff der systemrelevanten Berufe war in Corona-Höchstzeiten besonders prominent und diese Gruppen wurden besonders häufig diskutiert. Wir erinnern uns: Für diese Menschen wurde abends aus Fenstern und von Balkonen geklatscht, man erhoffte sich endlich mehr Ansehen, vor allem auch bessere Bezahlung für diese Berufe. Wer allerdings Seite an Seite mit dem – zu Recht! – viel beklatschten Pflege- und Supermarktpersonal arbeitete, sind die Reinigungskräfte. Die Menschen, die in so gut wie jedem Unternehmen, jedem öffentlichen Gebäude unabdingbar sind. Wurde auch für sie geklatscht?

Eines gleich vorweg: Alle systemrelevanten Berufe sind, wie es der Name bereits ausdrückt, unverzichtbar. Diese Berufe und vor allem die Menschen, die sie ausüben, sind essenziell dafür, dass unser alltägliches Leben funktioniert – von der Ärztin bis zur Reinigungskraft. Fakt ist allerdings auch, dass genau diese beiden Berufe in puncto Prestige und folglich (finanzieller) Beachtung nicht unterschiedlicher sein könnten. Die Frage, ob dieser krasse Unterschied gerecht ist, sei dahingestellt. Es ist aber an der Zeit, einem selbst in der Pandemie gefühlt kaum beachteten Beruf die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Blick auf den „versteckten“ Beruf

Sie haben den größten Frauenanteil (83 %) und in 29 % der Fälle Migrationshintergrund: Nach den Einzelhandelsbediensteten stellen Reinigungskräfte zahlenmäßig die größte Gruppe innerhalb der systemrelevanten Berufe dar. Dennoch wurden sie wie bereits eingangs erwähnt selbst in den Debatten während Corona kaum beachtet. Das liegt zum einen vermutlich am historisch gewachsenen Image der Reinigungsarbeit generell: Es sind zum Teil Tätigkeiten, die früher nur Hausfrauen zugeschrieben wurden, die diese „doch so nebenbei“ erledigten. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass man in solchen Jobs tatsächlich ein wenig im Verborgenen arbeitet, beispielsweise dann, wenn niemand anwesend ist oder auch zu den Tagesrandzeiten. Solche Arbeitszeiten zerreißen nicht nur den Tag, sie machen die Arbeit an sich tatsächlich ein wenig unsichtbar. Oder wart ihr im Urlaub jemals im Zimmer, während es gereinigt wurde? Es ist ein bisschen wie ein Versteckspiel. Und während dieses Versteckspiels wird Knochenarbeit geleistet. Ständiges Bücken, Kriechen, Heben und Schleppen hinterlassen ihre Spuren; die körperliche Anstrengung ist enorm. Besonders brisant ist diese Tatsache vor dem Hintergrund, dass Reinigungskräfte mit 45 Jahren das höchste Durchschnittsalter innerhalb der systemrelevanten Berufe aufweisen.

Nun könnte man sagen, dass es viele Berufe gibt, die körperlich belastend sind. Das stimmt. Und es gibt auch solche, die gefährlich bzw. auf andere Art belastend für den Körper sind, wie z.B. bei der Müllabfuhr. Auch richtig. Meistens gibt es in diesen Jobs aber auch so genannte Zulagen, die zumindest finanziell Ausgleichen sollen, was einem körperlich abverlangt wird. Im Reinigungsgewerbe? (Größtenteils) Fehlanzeige. Warum das aber dringend nötig wäre? Neben der ohnehin schweren körperlichen Arbeit wird den ganzen Tag mit Reinigungsmitteln gearbeitet.

Die versteckten Probleme

Besonders praktisch, besonders problematisch: Reinigungsmittel mit Duftstoffen und in Sprühflaschen. Was gut duftet und auch zu Hause praktisch anwendbar ist, zieht für Reinigungskräfte drastische Folgen nach sich. Wie bereits mehrere Studien belegen, sind die in Putzmitteln enthaltenen Aerosole teilweise so gefährlich, dass die Lungenfunktion einer 20 Jahre tätigen Reinigungskraft so eingeschränkt ist wie die einer Person, die täglich eine Schachtel Zigaretten raucht. Auch steigt das Asthmarisiko um 40 % und Krankheiten wie Lungenembolien, Lungenkrebs, Herz- und Gefäßkrankheiten treten deutlich häufiger auf. Das Tragen von Masken würde dabei nur geringfügige Abhilfe schaffen, da die zusätzlich notwendige gute Belüftung aufgrund der baulichen Gegebenheiten häufig schlicht nicht möglich ist. Zulagen für Reinigungsarbeiten sieht der Kollektivvertrag allerdings nur für „besonders gefährliche und außergewöhnliche Arbeiten“ vor, wie z.B. bei Außenfassadenreiniger:innen. Dem Großteil der Reinigungskräfte bleibt daher dieser finanzielle Ausgleich trotz hoher Belastung verwehrt.

Darüber hinaus ist die Reinigungstätigkeit in vielerlei Hinsicht ein Musterbeispiel für prekäre Arbeit. Der vorhin erwähnte Kollektivvertrag, der unter anderem einen Mindestlohn vorsieht, hat beispielsweise im privaten Raum kaum einen Nutzen: Eine Auswertung aus dem Jahr 2019 ergab, dass die Arbeit dort in 97 % der Fälle „schwarz“ verrichtet wird, also ohne Anmeldung zur Sozialversicherung und ohne Anspruch auf Kranken- oder Urlaubsgeld. Auch sind Reinigungskräfte auffällig häufig in „atypischen Beschäftigungsverhältnissen“ angestellt, worunter z.B. die geringfügige und auch die Leiharbeit fällt. Laut SORA-Studie aus dem Jahr 2020 ermöglicht das Unternehmen, bei Bedarf schnell Personal ein-, aber auch wieder auszugliedern. Die Folgen für die Beschäftigten sind mitunter „oft eine geringe soziale Absicherung, höhere Arbeitslosigkeitsrisiken, fehlende Planbarkeit und geringe Entwicklungs- und Aufstiegsperspektiven“. 76 % der Reinigungskräfte gaben an, knapp oder gar nicht mehr mit ihrem Einkommen auszukommen; rund ein Drittel, dass sie von ihren Partner*innen Unterstützung erhalten – finanzielle Unabhängigkeit der Frau geht anders. Diese Folgen ziehen sich vor allem bis ins hohe Alter: Geringe Entlohnung sowie brüchige soziale Absicherung führen dazu, dass mehr als 20 % der Reinigungskräfte angeben, später nicht von ihrer Pension leben zu können. Die Liste an Missständen ließe sich leider noch massiv verlängern.

Systemrelvant. Systemgeschätzt?

Es ist eine Arbeit im Hintergrund; eine Arbeit, die niemand (gerne) sieht; eine Arbeit, bei der man verschämt das Zimmer oder die Wohnung verlässt. Diese Unsichtbarkeit und zu einem Gutteil auch die Ignoranz schaffen eine ganze Reihe an Problemen. Die Arbeitsumstände wirken teils katastrophal und Entlohnung, soziale Absicherung sowie Wertschätzung sind gering. Obwohl dies auf mehrere systemrelevante Berufe zutrifft, erscheint die Lage bei den Reinigungskräften besonders zugespitzt. Das mangelnde Prestige und die daraus folgende geringere ökonomische Bewertung dieser Arbeit sorgt dafür, dass inmitten der Gesellschaft Menschen leben, die trotz harter Arbeit nicht mit ihrem Geld auskommen – the working poor. Und das bei einer Tätigkeit, die so elementar für unser Zusammenleben ist – oder möchtet ihr wissen, wie es um unseren hygienischen Standard stünde, wenn in Krankenhäusern, öffentlichen Toiletten und Gebäuden plötzlich nicht mehr geputzt werden würde?

Quellen

https://www.sora.at/fileadmin/downloads/projekte/2020_SORA-Forschungsbericht_Systemrelevante_Berufe.pdf

https://www.wko.at/service/kollektivvertrag/lohnordnung-denkmal-fassaden-gebaeudereiniger-2022.html

https://www.thoracic.org/about/newsroom/press-releases/resources/women-cleaners-lung-function.pdf

https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/chronik/oesterreich/2019701-Putzarbeit-ist-Schwarzarbeit.html

https://kurier.at/wirtschaft/brisante-studie-97-prozent-der-haushaltshilfen-schwarz-bezahlt/400559135

https://wien.orf.at/stories/3170102/

https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abj9156?adobe_mc=MCMID%3D03987440545958189851040011456061849386%7CMCORGID%3D242B6472541199F70A4C98A6%2540AdobeOrg%7CTS%3D1645796440&_ga=2.186681896.1683920068.1645690224-2108551351.1641895377

 


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