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Eine Dosis Hoffnung – Frauen in der Medizin


Spannung herrscht im OP-Saal: Der Patient liegt auf dem Tisch, seine Organe sind offenbart. Und darüber – die konzentrierten Augen der letzten Hoffnung des Patienten. Der Kittel bespritzt mit Blut, starke Arme und hinter der OP-Maske wohl ein Stoppelbart. Wir befinden uns in den Vorstellungen eines Durchschnittsbürgers bzw. einer Durchschnittsbürgerin. Der Chirurg ist ein Mann. Man könnte meinen, dass die Vorstellung eines OP-Saals, der von einem Mann geleitet wird, in der Zeit zurückgeblieben ist. Jedoch ist sie weiterhin üblich. Sie entspricht der Realität. Denn Ärztinnen sind auch heute noch nur selten in Führungspositionen vertreten.

Wenn die Zahlen täuschen

Im Jahr 2019 gingen 57.6% der österreichischen Studienplätze für Medizin an Frauen; 51,8% der Absolvent:innen des Medizinstudiums waren weiblich. Und Frauen machten 48,5% aller Ärztinnen und Ärzte aus. Wirft man einen Blick auf einzelne Hierarchieebenen, wird sofort klar, dass diese Ausgewogenheit sich nicht über alle Ebenen erstreckt. Ende 2018 waren nur 12% aller Primärärztinnen und Primärärzte weiblich. Das wirft die Frage auf: Wo sind die Frauen geblieben?

Sie sind viele – und doch zu wenig

Fest steht: Von Anfang an waren sie jedenfalls nicht in der Medizin zu finden. Im Jahr 1900 erhielten die ersten wenigen Frauen Zugang zum österreichischen Medizinstudium. Die Zahlen stiegen schließlich aufgrund des Ärztemangels im Ersten Weltkrieg, der Frauen auch den Zugang zu befristeten Stellen als Spitalärztinnen ermöglichte. Zu einem signifikanten Anstieg des Frauenanteils im Medizinstudium kam es jedoch erst ab Mitte der 1970er Jahre, während gleichzeitig immer mehr praktizierende Ärztinnen aufzufinden waren. Im Laufe der Zeit ist also der Frauenanteil in der Medizin gewaltig gestiegen; mittlerweile sind sie im Studium sogar in der Überzahl. In Führungspositionen sind sie jedoch weiterhin unterrepräsentiert. Was sind die Gründe für dieses Phänomen?

Hindernisse in der Karriere

Es gibt viele Gründe für die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen in der Welt der Medizin. Besonders auf der Hand liegt die mangelnde Vereinbarkeit von Führungspositionen mit der Familie. Dass unregelmäßige Arbeitszeiten für den Arztberuf typisch und mit der Kinderbetreuung schwer abzustimmen sind, ist wohl allseits bekannt. Ärztinnen und Ärzte, aber vor allem Arbeitgeber:innen sind sich dessen bewusst. Und so stoßen Frauen oft schon beim Bewerben auf Benachteiligungen – allein deshalb, weil sie in der Theorie Kinder bekommen könnten.

Aber auch schon vor der Bewerbung wird Ärztinnen oft die Chance auf das Erreichen höherer Positionen genommen. Netzwerkmöglichkeiten fehlen – jene, die vorhanden sind, stehen meist nur Männern offen. Patriarchale Netzwerke, sogenannte Männernetzwerke, fördern exklusiv die Karriere von Männern, während sie ihren Konkurrentinnen kaum Zutritt gewähren. Diese Missstände gehen selbstverständlich auf vergangene Zeiten zurück. In der Folge fehlt es Medizinstudentinnen oft an gleichgeschlechtlichen Rollenvorbildern, die ihnen den Weg weisen können. Und die Positionen, die durch besseres Netzwerken erreicht werden könnten, haben männliche Eigenschaften – so wie die starken Arme des Chirurgen im Operationssaal.

Die Schattenseite der weiblichen Führungspositionen

Der bloße Anteil an Frauen in leitenden Positionen ist jedoch nicht genug, um die Situation ausreichend zu beleuchten. Denn hinter den niedrigen Zahlen steckt eine weitere Form der Diskriminierung, nämlich jene aufgrund der mit diesen Stellen verbundenen Arbeitsbedingungen. Denn selbst wenn es Frauen gelingen sollte, in Führungspositionen zu gelangen, werden sie oft mit höheren Anforderungen konfrontiert als Männer. Der daraus resultierende Leistungsdruck hat das Potential, sich negativ auf die Karriere der Frau auszuwirken. Oftmals sind die Führungspositionen, die an Frauen gehen, zugleich unattraktiver als die der männlichen Counterparts. Solche sind nicht selten mit höheren Risiken verbunden und sorgen dafür, dass ein häufiges Scheitern von Ärztinnen beinahe vorprogrammiert ist.

Die Hoffnung wird weiblich

Trotzdem lassen sich für Ärztinnen einige Lichtblicke finden: Frauen erfahren immer mehr Unterstützung durch den/die Arbeitgeber:in bezüglich einer Vereinbarung ihres Berufes mit der Familie; Mentoringprogramme bieten die Möglichkeit zur Vernetzung. Ebenso bekommen Führungspositionen zunehmend weibliche Eigenschaften wie soziale und emotionale Fähigkeiten, Empathie und zwischenmenschliche Orientierung. Bis zur vollständigen Gleichberechtigung der Ärztinnen ist es noch ein langer Weg; die Hoffnung für die Ärztinnen ist aber dennoch da. Denn vielleicht werden die starken Arme des Chirurgen in unseren Vorstellungen ja einmal zu denen einer gleichsam qualifizierten Frau. Einer von vielen, die im OP-Saal die letzte Hoffnung der Patient:innen sein dürfen.

Quellen

https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000099096076/das-leid-der-aerztinnen-kinderbetreuung-und-mangelnde-foerderung

https://www.kli-hr.at/wp-content/uploads/2022/03/Frauen-in-der-Medizin-2021_%C2%A9-KLI-1.pdf

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Medizinerinnen


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