Kenne deine Rechte

„Wir mussten unheimlich aufpassen, dass niemand erkennt, wer wir sind.“


Ausgegrenzt, diskriminiert, verachtet. Seit jeher war das die Lebensrealität der meisten Roma und Sinti. Doch die junge Generation ist stolz auf ihre Zugehörigkeit und steht für ihre Rechte ein.

Ursprünglich vom indischen Subkontinent stammend, siedelten sich Roma und Sinti in Südosteuropa, später auch in Amerika, Mittel-, West- und Nordeuropa an. Anders als bei anderen Volksgruppen lebten und leben die Roma jedoch überall als diskriminierte Minderheit, denn einen eigenen Staat haben sie nicht. Die Ausgrenzung und Diskriminierung ging oft bis zur Verachtung und führte zur Marginalisierung der gesamten Volksgruppe. Vor allem in Osteuropa finden sich in vielen Städten und Dörfern eigene, von den Siedlungen der Mehrheitsbevölkerung abgetrennte Roma-Slums mit prekären Wohnverhältnissen.

In der „Mittwochskonferenz“ am 01. Juni 2022 von Prof. Dr. Andreas Maislinger hatten ca. 100 junge Menschen die Chance, mit Mirjam Karoly, einer Expertin und ehemaligen OSZE-Beraterin für Roma-und-Sinti-Fragen über dieses Thema zu sprechen. Karoly ist selbst Tochter eines Burgenlandrom und im Verein Romano Centro tätig, der sich seit 1991 für Roma und Sinti einsetzt. Romano Centro ist mit Angeboten wie Lernhilfe, Schulmediation und Sozialarbeit vor allem im Bildungsbereich tätig, tritt aber auch gegen Diskriminierung und Antiziganismus – Rassismus gegenüber Roma und Sinti – ein.

Antiziganismus in der Erinnerungskultur

1938 erließ SS-Chef Heinrich Himmler den Erlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“. In den darauffolgenden Jahren wurden hunderttausende Roma und Sinti systematisch ermordet. Die Vernichtung der gesamten Volksgruppe gelang glücklicherweise nicht. Anders als die Juden wurden Roma und Sinti aber vorerst nicht als Opfer des Holocausts anerkannt. „Die Aufarbeitung bei Roma hat Dekaden später angefangen, erst gegen Mitte bis Ende der 80er Jahre“, sagt Karoly. Und die Aufarbeitung ist bis heute mangelhaft. „Ich denke es ist ein Skandal, dass es nicht zentral und auch groß ein Monument und vielleicht auch eine Institution verbunden im Zentrum Wiens gibt.“, kritisiert der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici den Mangel einer adäquaten Erinnerungsstätte für Roma und Sinti, die im Nationalsozialismus ermordet wurden.

Das geht besser. Der Verein Romano Centro erarbeitet gemeinsam mit der Bundesregierung Strategien, um Antiziganismus in Zukunft besser zu begegnen. Aber wie baut man Stereotype ab, die sich seit jeher in den europäischen Mehrheitsbevölkerungen halten und zu großen Teilen noch vorhanden sind? „Meine Message wäre, dass man versucht, möglichst interdisziplinär zu arbeiten“, sagt Karoly. „Bildungsintegration ist wahnsinnig wichtig, gleichzeitig sollte man mit den Eltern arbeiten und sie einbinden, aber auch Arbeitsintegration ermöglichen.“ Schon im Kleinkindalter werden Roma mit rassistischen und antiziganistischen Vorurteilen konfrontiert, die sich über Staaten hinweg in den Mehrheitsbevölkerungen etabliert haben.

Von Scham zu Stolz

Die Diskriminierung ging in den meisten Fällen, früher auch bei Mirjam Karoly, so weit, dass man die eigene Zugehörigkeit und Kultur verheimlichen musste. „Wir müssen unglaublich aufpassen, dass niemand erkennt, wer wir sind“, beschreibt Karoly das Motto der Roma-Nachkriegsgeneration. Das hat sich geändert, „Es ist die Generation danach, die sagt: Hier sind wir! I’m proud und ich bin Rom/Romni, und die sich in einer viel breiter gefächerten Arbeit beweist und so auch Vorurteile bekämpft“. Die junge Generation beschäftige sich viel mehr mit der Förderung der eigenen Kultur, der Diversität und auch der Frauenrechte in der eigenen Community.

„Die eigentliche europäische Gruppe, die übernational ist, die das Europäische schlechthin ist, das sind ja Roma und Sinti. Und darin beweist sich, ob es dieses Europa gibt, oder nicht: Wie es mit diesen Menschen umgeht.“, schließt Doron Rabinovici die Diskussion.

Es scheint paradox: Auf der einen Seite präsentiert man sich als ein starkes, übernationales Europa – als ein Europa, das gemeinsam agiert. Auf der anderen Seite gibt es eine staatenübergreifende Volksgruppe, die bis heute in ganz Europa diskriminiert und ausgeschlossen wird.

Um ein weiteres Fortbestehen dieser systematischen Diskriminierung zu verhindern braucht es vor allem eines: Die Bereitschaft aller Europäer:innen, egal welcher Staats- oder Volksgruppenangehörigkeit, sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit auseinanderzusetzen, Anderen zuzuhören und sich gleichzeitig gemeinsam dafür zu engagieren, dass das Menschenrecht auf Gleichbehandlung niemandem vorenthalten bleibt.

Die Mittwochskonferenz mit Mirjam Karoly gibt es auf Spotify zum Nachhören!


Das könnte dich auch interessieren