Die unbestimmte Zukunft der Selbstbestimmung – Wieso das Recht auf Abtreibung in Gefahr ist
Die westliche Welt schaut entsetzt in die U.S.A.. Der oberste Gerichtshof sprach am 24. Juni 2022 US-Amerikaner:innen das Recht auf Abtreibungen ab. Ein Entscheid, der die Leben ungewollt schwangerer Personen in Gefahr bringt. Jedoch darf bei allem Unverständnis gegenüber der fragwürdigen U.S.-amerikanischen Reglementierung nicht vergessen werden, dass auch in Europa das Recht auf Abtreibung nicht so sehr im Fokus ist, wie es sein sollte.
“Roe v. Wade” is no more
Pro-Life Demonstierende jubeln, US-Bischöfe begrüßen die Aufhebung eines Gesetzes, das es Personen ermöglichte zu entscheiden, ,,ob andere leben oder sterben können”.
Während das Tragen von Waffen ab sofort Grundrecht in den U.S.A. ist, wurde das Recht auf Abtreibung nun vom Supreme Court, dem obersten Gerichtshof, aufgehoben. Geregelt war dies bisher in einem Urteil, genannt “Roe v. Wade” aus dem Jahr 1973, das entschied, dass das verfassungsrechtliche Recht auf persönliche Freiheit auch Abtreibungen betrifft. Nun wurde dieses Urteil aufgehoben – von einer republikanischen Mehrheit im Supreme Court.
Dies hat nun gewaltige Auswirkungen auf sämtliche Personen in den U.S.A., da nun die Bundesstaaten selbst entscheiden dürfen, ob sie Abtreibungen zulassen, oder nicht. Mehrere Bundesstaaten haben für genau diesen Moment bereits Regelungen vorbereitet, die nun automatisch in Kraft treten. Mehrere Bundesstaaten an der West- und nördlichen Ostküste möchten Schwangerschaftsabbrüche auch weiterhin erlauben, während zahlreiche andere Staaten, wie etwa Alabama und Texas, ab sofort Abtreibungen illegal machen werden.
Diese Entwicklung ist hochgefährlich. Schon immer wurden Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt, unabhängig davon, ob sie erlaubt waren oder nicht. Doch wenn Schangerschaftsabbrüche nicht durch medizinisches Personal und ohne rechtlicher Absicherung durchgeführt werden, birgt das enorme Gefahren für das Leben der schwangeren Person. Schwangerschaftsabbrüche können also verboten, jedoch nicht verhindert warden,.
Zum Glück leben wir in Europa?
Auch wenn die meisten europäischen Länder im Laufe des 20. Jahrhunderts Abtreibungen zumindest straffrei gestellt haben und nun kopfschüttelnd nach Nordamerika blicken, ist auch die Lage in Europa nicht überall so liberal, wie es für einen legalen und niederschwelligen Schwangerschaftsabbruch bräuchte, – und auf jeden Fall nicht in Stein gemeißelt.
So gibt es auch in Europa Bewegungen, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht befürworten. Erst kürzlich musste eine U.S.-Amerikanische Touristin auf Malta, einer katholisch geprägten Insel, um ihr Leben fürchten, da sie trotz unvollständiger Fehlgeburt keine medizinische Hilfe bekam. Die Ärzt:innen wollten das Risiko nicht eingehen, aufgrund einer illegalen Abtreibung belangt zu werden. Erst fand sich auch keine Fluggesellschaft, die bereit wäre, die in Lebensgefahr schwebende Frau von der Insel zu bringen. Zum Glück wurde doch noch ein Flug nach Spanien ermöglicht und das unschuldige Leben gerettet – das der Mutter, während politische Verantwortliche schwiegen.
Dies rief nach langer Zeit wieder eine Debatte rund um das Recht auf Abtreibung auf der Mittelmeerinsel hervor, das gemeinsam mit San Marino der einzige europäische Staat ist, in dem Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen verboten sind.
Jedoch ist auch das eingeschränkte Recht auf Schwangerschaftsabbruch, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, de facto ein Abtreibungsverbot, da oft zu lange abgewartet wird, bevor der oft überlebenswichtige Eingriff vorgenommen wird. Dies ist neben Andorra auch in Polen der Fall, in dem im Jahr 2020 die damals regierende konservative Partei PiS die geltenden Abtreibungsrechte stark zurücknahm, und nur in absoluten Ausnahmen Schwangerschaftsabbrüche erlaubte. Riesige Proteste seitens der Bevölkerung, Solidarität seitens internationaler Feminist:innen und auch politische Kritik konnten diesen Einschnitt in die menschliche Gesundheit nicht verhindern.
Österreich hat noch Hausaufgaben zu erledigen.
Ansonsten sind Abtreibungen in den meisten europäischen Ländern möglich – doch nicht überall legal. So auch in Österreich, wo Abtreibungen strafgesetzlich geregelt sind (§ 96-98 StGB), unter bestimmten Voraussetzungen jedoch straffrei sind. Innerhalb der ersten 3 Monate der Schwangerschaft, sowie bei bestimmten Ausnahmefällen auch danach, kann ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden. Allerdings werden die Kosten nur von der Sozialversicherung gezahlt, wenn der Abbruch aus medizinischen Gründen notwendig war, und das Angebot von Kliniken und Ärzt:innen, die Abbrüche anbieten, ist nicht gut ausgebaut. Auch gibt es konservative und andere rechte politische Kräfte, die selbst diese Regelungen für zu liberal befinden. Dazu gehören etwa die FPÖ und die ÖVP, die den ,,Schutz ungeborener Kinder” zu ihrer Aufgabe gemacht haben.
Zwar bleibt es zur Zeit bei Lippenbekenntnissen, jedoch müssen diese Entwicklungen und Ideologien ernstgenommen werden. Die männlich dominierten Parteien argumentieren mit dem stärkeren Angebot von Adoptionsangeboten statt Abtreibungen, und härteren Voraussetzungen, bevor ein Abbruch durchgeführt werden darf. Gerade bei der FPÖ, die sonst “zu niedrige” Geburtsraten von “Österreicherinnen” fürchtet, hat dies zutiefst rassistische Gründe, die in keinster Weise das Wohlergehen der schwangeren Person im Sinn haben.
Auch wenn die frauen*feindlichen und teils rassistischen Ideologien, die mit der Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen einhergehen, die öffentliche Meinung keinesfalls widerspiegeln, kann auch in Österreich Recht auf Abtreibung verbessert werden. Die Stigmatisierung und das nicht ausgereifte und noch dazu teure Angebot sollte stärker im Fokus sein.
Auf in die Zukunft
Der Kampf um das Recht auf eine gesundheitlich hochwichtige Dienstleistung ist nicht vorbei, und der Entscheid in den U.S.A. zeigt, dass auch in der westlichen Welt das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht so selbstverständlich ist, wie man es annehmen würde. Inmitten der negativen Schlagzeilen der letzten Wochen gab es jedoch einen positiven Fortschritt in Deutschland. Dort wurde nach jahrelangen Protesten endlich die Information und straffreie Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt:innen erlaubt. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, und ein Grund mehr, weiter für dieses Menschenrecht einzutreten.
Titel- und Bewerbungsbild von (c) Alexandra Lehner.