Terror in Wien: Wie begegnet man Angst und Hass?
Am 2. November 2020, nur eine Nacht vor dem 2. COVID-19 Lockdown, verübte ein Sympathisant des Islamischen Staates (IS) gegen 20 Uhr einen Terroranschlag im 1. Wiener Gemeindebezirk. Der 20-jährige Attentäter ermordete kaltblütig vier Menschen und verletzte 22 weitere Personen. Wie funktioniert Terror und wie können wir als Gesellschaft wirksam dagegensteuern?
„Der Hass wird in unserer Gesellschaft nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Denn Terror will verunsichern und Streit säen. Wir werden uns von diesem Hass nicht anstecken lassen. Wir werden uns und unsere Werte schützen und verteidigen.“ – Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Auch Österreich vom Terrorismus betroffen
In den letzten Jahren wurden Österreichs Nachbarländer immer öfter zur Zielscheibe von Terroranschlägen. Nun hat der Terror auch in Wien zugeschlagen. Ein 20-jähriger Sympathisant des Islamischen Staates, der bereits wegen terroristischer Vereinigung (§ 278b StGB)[1] vorbestraft war und sich dem syrischen Krieg anschließen wollte, schoss neun Minuten lang auf Zivilist*innen im 1. Wiener Gemeindebezirk. Dabei wurden vier Menschen getötet.
Durch die schnelle und mutige Reaktion der Wiener Polizei konnte der Täter neun Minuten nach dem Anschlag neutralisiert werden. Doch nicht nur die Polizei zeichnete sich in dieser Nacht durch ihren Mut aus. Viele Wienner*innen bewiesen in dieser dramatischen Nacht Zivilcourage.. So retteten beispielsweise zwei türkischstämmige Österreicher, Recep Tayyip Gültekin und Mikail Özen, eine verletzte Frau und einen verletzten Polizisten, dem Osama Joda, ein 23-jähriger Palästinenser, bereits zuvor Erste Hilfe leistete.
Terror schürt Angst und Unsicherheit
Das zentrale Ziel des Terrors ist, Angst auszulösen und somit die Gesellschaft zu spalten. Oft werden nach Terroranschlägen ganze Religionsgruppen, wie zum Beispiel Muslime, in den Medien und anderswo pauschal als Schuldige dargestellt.. Die Ideologie des Terrors, die sich grundsätzlich in keiner Religion findet, kann somit Menschen für sich gewinnen. Doch von Terror sind nicht nur die Opfer betroffen, sondern auch die Terrorist*innen selbst.
Julia Ebner, eine österreichische Extremismus-Forscherin, sagt: „Allen ist gemein, dass sie eine gewisse Art der Identitätskrise oder eine momentane Schwachstelle haben. Oder eine Angst, eine Frustration, eine Wut, die dann sehr gezielt von Anwerbern ausgenutzt wird. Und das ist das Gefährliche. Das zieht auch unpolitische Menschen, teilweise Minderjährige, in die Gruppen.[2]“
Aus vielen Studien und Expert*innenaussagen kann man schließen, dass nicht nur eine bestimmte Gruppe von Terrorismus und Extremismus angezogen sein kann, sondern generell alle Menschen, die in einer akuten Identitätskrise stecken. Natürlich sind es meistens junge Menschen, die noch nicht genau wissen, wer sie sind.
Für den amerikanischen Sozialpsychologen Arie W. Kruglanski kann der Auslöser für die Radikalisierung auch ein Gefühl der Demütigung, der Hoffnungslosigkeit, der Frustration oder der Diskriminierung sein[3]. Dschihadismus-Aussteiger Irfan Peci erklärt, dass er davon überzeugt war, dass der Islam, den die Dschihadisten predigen, der einzig Wahre ist. Die mediale Verbreitung sei auch ein wesentliches Zeichen des politischen Terrorismus, meint Prof. Carola Dietze und ebenso Irfan Peci, der selbst dschihadistisches Gedankengut durch das Internet verbreitet hat. Früher oder später rebellieren fast alle Jugendlichen im Zuge ihrer Entwicklung, doch für die meisten bleibt es bei einem pubertierenden „Aufstand“ gegen die Eltern oder andere Vorgesetzte wie zum Beispiel Lehrer*innen.
Zwischen Wertesystemen
Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte in seiner Rede, dass dies keine Auseinandersetzung zwischen Christ*innen und Muslimen oder Österreicher*innen und Migrant*innen wäre, sondern vielmehr zwischen jenen, die an den Frieden glauben, und jenen wenigen, die sich den Krieg wünschten. Die österreichische Bundesregierung will nun entschlossen gegen Extremist*innen und Extremismus vorgehen. Sie betont, dass es keine Toleranz für diese extremen, fundamentalistischen Gruppierungen geben darf.
Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) bezog zu dem Terroranschlag Stellung und lehnte jene Art des Extremismus ab. Als Zeichen ihrer Solidarität mit den Opfern des Attentats wurde in den rund 350 Moscheen österreichweit am 6. November eine einheitliche Khutba (Freitagsprädigt)[4] beim Freitagsgebet gehalten. Zudem wurden in Wien unzählige Blumenkränze in die Straßen gelegt und hunderte Kerzen angezündet.
Was heißt das für unsere Gesellschaft?
Das Wichtigste für unsere Gesellschaft in dieser Zeit ist, dass wir alle entschlossen und zusammen gegen Extremismus vorgehen sowie uns von diesen grausamen Untaten nicht einschüchtern und spalten lassen. Denn nur so haben Terror und Terrorist*innen keine Chance. In Wien haben wir diesen Zusammenhalt anhand der Zivilcourage gesehen. Viele Menschen halfen den Verletzten. Unter den Helfer*innen befanden sich auch Angehörige der muslimischen Glaubensgemeinschaft. Genau deshalb dürfen wir nicht alle Menschen in einen Topf werfen.
Um eine Radikalisierung und in weiterer Folge Terrorismus verhindern zu können, müssen wir auf Menschen zugehen können – vor allem auf junge Menschen. Wir müssen verstehen, dass nicht alle Terrorist*innen gleich sind und dass auch sie eine Geschichte haben. Gleichsam sind nicht alle Menschen, die die vermeintliche Religion der Attentäter*innen teilen, automatisch auch Terrorist*innen.
Quellen
[1] https://orf.at/stories/3187772/
[2] https://www.mdr.de/wissen/wie-wird-man-zum-terroristen-100.html#
[3] https://www.google.com/amp/s/www.sueddeutsche.de/politik/radikalisierung-junger-menschen-der-weg-in-den-terrorismus-1.2788615!amp
[4] Das zentrale Gebet der Muslime