Zwischen Tinte und Blut
Schwarzer Hintergrund, weiße Schrift. Die Worte „Je suis Charlie“, die zentrale Botschaft der vergangenen Woche. Das Attentat auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo gilt als Angriff auf die öffentliche Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Frankreich als Mittelpunkt der demonstrativen Einigkeit, die hoffentlich länger als drei Tage hält.
Zusammen
Der Terror ist zurück. Europa, als sicherer Hafen des Friedens und der Menschenrechte, wurde am 7. Jänner 2015 unmissverständlich gezeigt, wie verwundbar es doch sein kann. So umstritten das Magazin Charlie Hebdo auch sein mag, so klar muss man sich zur Meinungsfreiheit bekennen. Vier Tage nach den Anschlägen in Paris beweist man Einigkeit. Unter den hunderttausenden Menschen, die an den Gedenkveranstaltungen teilnehmen, gehen auch politische Gegner nebeneinander, um Zusammenhalt gegen den Terror zu demonstrieren.
Es geht nicht darum, welche Meinung man hat, es geht darum, dass sie ausgesprochen werden darf, auch wenn sie anderen nicht gefällt
. Charlie Hebdo karikiert alles und jeden, ohne Rücksicht, egal ob Religion, Politik oder Kultur. Das ist Provokation, ohne Frage, es ist aber auch Presse- und Meinungsfreiheit. 11 Menschen starben, als zwei Männer das Redaktionsgebäude betraten und zielgenau Personen töteten, der Blutzoll für die in Frankreich beliebten Karikaturen. Der Unterschied liegt zwischen Tinte und Blut.
Zwischen Solidarisierung und Verallgemeinerung
Plötzlich ist jede/r Charlie. Jede/r solidarisiert sich mit Charlie. Jede/r nimmt Anteil am Schicksal von Charlie. Heutzutage ist es leicht, seine Solidarität auszudrücken. Social Media einschalten, zwei Sätze tippen, richtigen Hashtag wählen und posten. Nicht jeder Beitrag ist es wert gelesen zu werden, aber wir müssen uns damit abfinden, dass dies die neue Art der Solidaritätsbekundung ist. Ein Hashtag verliert allerdings seine Aktualität so schnell, wie eine Tageszeitung von letzter Woche die ihrige. Was bleiben sollte, ist der Zusammenhalt, der Sonntagnachmittag in Paris demonstrativ gezeigt wurde, und das etwas länger als ein paar Tage. Europa und die Europäische Union stehen vor einer schwierigen Zeit, da wäre ein bisschen längerfristige Einigkeit nur von Vorteil. Allerdings sollte man rechtsradikalen Gruppen keine Chance geben, diesen Vorfall für sich zu nutzen.
Die Gefahr der Verallgemeinerung ist gegeben, Sätze, die „alle“ oder „jede/r“ beinhalten, sind, vor allem in solchen Zusammenhängen, gefährlich. Nicht „jede/r“ Muslim/in versteht den Koran so radikal, wie es die Terroristen tun, genauso wie nicht alle Christ/innen jeden Sonntag in die Kirche gehen.
Außerdem: Der getötete Polizist war Muslim, der Held im koscheren Supermarkt, in dem zwei Tage nach dem Attentat auf Charlie Hebdo eine Geiselnahme mit vier Todesopfern stattfand, ist Muslim, der Polizeileiter der Befreiungsaktion ist Muslim und die Täter waren Muslime. Würde also bei den Anschlägen in Frankreich einer ganzen Religionsgemeinschaft die Schuld zugesprochen, so wäre das wohl zu hinterfragen.
Untergegangen
Der Anschlag auf Charlie Hebdo ist schlimm, ja. Aber es passieren tagtäglich Angriffe auf die Menschenrechte, in denen auch die öffentliche Meinungsäußerung und die Pressefreiheit inbegriffen sind. Tagtäglich werden abertausende Menschen umgebracht, als unschuldige Zivilist/innen oder als Kämpfer/innen für die Freiheit.
Europa ist ein, gottseidank, friedlicher Wohlstandskontinent, auf dem solche Angriffe die Ausnahme sind. Es ist gut, dass jegliche Gewalt im europäischen Raum stark verurteilt wird, allerdings sollten solche Solidaritätsbekundungen nicht nur in der eigenen Gemeinschaft stattfinden, sondern auch außerhalb der europäischen Mauern
. Durch die sich überschlagenden Ereignisse in Paris vergangene Woche wurde einem Massenmord der Boko Haram an 2000 Menschen in Nigeria nur eine kleine Schlagzeile in den Zeitungen zuteil. Ist dieser Terror nicht mindestens genauso tragisch und inakzeptabel wie der in Paris? Zugegeben, ein Hashtag für jeden Anschlag, den der IS oder eine andere Terrororganisation verübt, würde das Netz überschwemmen, aber den virtuellen Solidaritätsbekundungen sollten endlich reale, politische Handlungen folgen. Ohne Alternative zum Dialog.