„Ein trockener Löffel kratzt am Hals“
Das Land, in dem Milch und Honig fließen, ist es nicht. Was fließend ist, sind die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, die sich mit ein paar Scheinen in die richtigen Hände schnell verschieben lassen. Wie die Korruption als Wirtschaftszweig funktioniert und warum das (nicht nur) der Ukraine ein wirtschaftliches Desaster bringt.
„Ja heißt das, man kann bei Ihnen durchfallen?“
Studierende sind chronisch in Geldnöten, wie ein allgemein bekanntes Klischee lautet. Hier eine überhöhte Miete, dort sich beim Lebensmitteleinkauf ein bisschen übernommen und dann auch noch diese unverschämt hohen Prämien an die ProfessorInnen, wenn man eine Prüfung gut bestehen will…
An den Hochschulen der Ukraine ist es gang und gäbe, sich Prüfungen und ganze Titel zu erkaufen. Einmal kam ein Student der Universität Lemberg zu seinem aus Deutschland eingewanderten Deutschprofessor und fragte nach dem Preis für eine bestandene Prüfung. Der Professor antwortete, bei ihm könne man sich Prüfungen nicht erkaufen. Daraufhin machte der Student große Augen: „Ja heißt das, man kann bei Ihnen durchfallen???“
Anekdoten wie diese sind landesweit bekannt, jede/r Ex-Studierende könnte Dutzende erzählen.
Die massive Korruption im Bildungssektor hat katastrophale Auswirkungen auf alle anderen Lebensbereiche. ÄrztInnen, RichterInnen, Uni-ProfessorInnen etc, die ohne Schmiergeld keine Prüfung bestanden hätten, führen zu einem kollektiven (und oft begründeten) Misstrauen gegenüber der Obrigkeit.
Stellen im Staatsbetrieb gehen nicht selten an den Meistbietenden. Eine Lehrerin, die für eine Bevorzugung bei der Stundenverteilung ihrem Schuldirektor eine bestimmte Summe zahlt, ist genauso alltäglich wie ein Direktorenwechsel, der immer dann geschieht, wenn jemand bereit ist, mehr Geld für die Stelle zu zahlen als der amtierende Direktor das seinerzeit getan hat.
Highway to Handauf
Eine längere Autofahrt in der Ukraine gleicht einem billig gemachten Computerspiel, das dennoch nicht langweilig wird. Man manövriert sein Vehikel in höchster Konzentration zwischen Schlaglöchern hindurch, die, je nachdem, in welchem Level man spielt, mitunter mehr Fläche einnehmen können als der Straßenbelag. Eine Fahrt an einem sonnigen Sommertag in der Nähe einer Stadt: Level 1. Eine asphaltarme Straße im Nirgendwo: Level 3. Nach drei Tagen Regen in der Nacht: Der Overkill. Um die Sache spannender zu machen, tauchen ab und an am Straßenrand „Monster“ auf, die Polizeiuniform tragen und einem Taten anhängen, die man nicht verbrochen hat. Dennoch ist es besser, ihnen, wenn man aufgehalten wird, einfach so 50 Hrivnia (ca
. 5 Euro) zu geben, denn irgendein Vergehen findet sich immer. So ein Alkoholmessgerät der Milizia weist manchmal beunruhigende Schwankungen auf… Wohingegen sich, wenn man einen Unfall verschuldet oder wirklich alkoholisiert gestoppt wurde, sämtliche Verweise schnell aus sämtlichen Akten löschen lassen, wenn man im richtigen Amt den richtigen Leuten ein kleines Präsent macht.
Die bittere Vertrautheit
Was man kennt, dem traut man eher. Während man sich auf der einen Seite über die schiere Unmöglichkeit ärgert, auf rechtlicher Ebene gegen jemanden mit Geld und „seinen Leuten“ in den richtigen Positionen anzukommen, erleichtert auf der anderen Seite das Wissen um die Korrumpierbarkeit das Leben ungemein
. Egal wie groß ein Problem ist, man weiß immer, wie es sich lösen lässt. Ein System, in dem man sich zurechtfindet, während der Rechtsweg und das unüberschaubare Paragraphenmeer der westlichen Staaten den Ukrainern oft zweifelhafter erscheinen. Ursache und Wirkung. Gibst du was, kriegst du was.
Ein nicht unwesentlicher Grund für die hohe Korrumpierbarkeit sind die lächerlich geringen Löhne in der Ukraine. Vom Verkehrspolizisten über die Ärztin bis zum Uni-Professor, die Versuchung, das Gehalt ein bisschen aufzubessern, ist groß.
Auf der anderen Seite gibt es die Bestechung im Businessbereich, bei der es um Summen von Zehntausenden Euros geht. Baugenehmigungen, Lizenzen, Umwidmung von Grundstücken, Erhalt von Aufträgen…
Folgen davon sind die Abschreckung ausländischer Investoren und das Versanden öffentlicher Gelder in Privattaschen, daraus resultierend katastrophale Zustände der Straßen, der Schulen, der Krankenhäuser.
Die UkrainerInnen wissen um die Probleme, die sie durch jedes gezahlte und verlangte Schmiergeld dem Staat und damit sich selbst bereiten, doch solange die Öffentlichkeit keine Unduldsamkeit gegenüber Bestechung an den Tag legt und die StaatsbeamtInnen sich ohne Willen zur Veränderung in ihr vertrautes System kuscheln, wird es eine solche nicht geben.