Aus der Traum vom freien Raum?
Seit 2. Mai muss man sich in unserer „Menschenrechtsstadt“ Graz einem regelrechten Hürdenlauf unterziehen, wenn man bloß mit FreundInnen ein gemütliches Bier oder sonstiges alkoholisches Getränk außerhalb einer Lokalität genießen möchte. An diesem Tag ist nämlich das erweiterte Alkoholverbot in Kraft getreten, welches sich jetzt über einen Großteil der Grazer Innenstadt erstreckt. Doch inwiefern tragen Verbote zur Lösung eines Problems bei? Und machen sich die Verantwortlichen darüber überhaupt Gedanken? Ein kleiner Blick hinter die Kulissen.
Stadtbild als „Heile Welt“-Phantasie
Der öffentliche Raum ist vor allem in Graz schon seit längerer Zeit ein hart umkämpftes Pflaster. Warum? Er wird oftmals von Menschen frequentiert, die ihn nutzen um soziale Kontakte zu pflegen, zusammen Zeit zu verbringen und sich mit Gleichgesinnten zu unterhalten. Wer sich nun fragt, wo hier für Politik und viele BürgerInnen das Problem liegt, bekommt eine Antwort, die doch aufrütteln sollte: Viele dieser Menschen sehen nicht aus wie Max Mustermann. Sie sind das, was der 08/15-Bürger als „anders“ bezeichnen würde. Sie verhalten sich nicht so, wie es sich „unsere“ Gesellschaft vorstellt, sie sind „bunt“, sie haben vielleicht keinen geregelten Tagesablauf. Und dass sie häufig alkoholisiert sind, stößt dem österreichischen Durchschnittsbürger, obwohl er dafür bekannt ist, im Umgang mit Alkohol nicht gerade zimperlich zu sein, zusätzlich sauer auf. Wie es scheint, reagiert „unsere“ Gesellschaft leider noch immer sehr allergisch auf Menschen und Dinge, die nicht der Norm entsprechen. Und verstoßt diese, anstatt sich ihrer anzunehmen.
Abseits öffentlicher Wahrnehmung
Mag.a (FH) Gabriella Fassold ist Sozialarbeiterin im Caritas-Kontaktladen und Streetwork im Drogenbereich. Sie steht so gut wie täglich in Kontakt mit Menschen am Rande der Gesellschaft. Ein Großteil der KlientInnen des Kontaktladens hält sich auch am sogenannten Billa-Eck beim Grazer Hauptplatz auf, einem der Brennpunkte in der aktuellen Diskussion um den öffentlichen Raum. Oftmals beschriebene Szenarien wie das Anpöbeln von PassantInnen kann sie trotz ihrer beinahe täglichen Anwesenheit als Streetworkerin nicht bestätigen: „Ich persönlich habe bisher kaum Auffälligkeiten oder gezielte Pöbeleien und Attacken auf Personen außerhalb der Gruppe mitbekommen“. Wenn, dann handle es sich um Reaktion, nicht um Aktion. Dass man sich nicht gerne den ganzen Tag über von wildfremden Personen beschimpfen lassen möchte, dürfte aber verständlich sein
. Auch innerhalb der Gruppe gibt es durchaus Selbstregulierung: „Wenn jemand über die Stränge schlägt, gibt es sehr wohl andere aus der Gruppe, die ihn/sie beruhigen und zurückhalten.“
Lösungsansatz vs. Repression
Der Umgang mit Politik und Exekutive birgt auch Konfliktpotenzial. Es gäbe auf Seiten der Polizei zwar teilweise sehr dialogbereite BeamtInnen, die auf Deeskalation setzen und versuchen, eine Gesprächsbasis zu schaffen. Jedoch käme es auch immer wieder zu gezielten Provokationen.
Von Seiten der Politik wurde ein ExpertInnengremium eingerichtet, in dem auch der Kontaktladen vertreten ist
. Im Rahmen dieser Kommission wurden vom Kontaktladen in Form eines Positionspapiers einige Vorschläge und Überlegungen zur Verbesserung der Situation im öffentlichen Raum und der Lage der betroffenen Menschen eingebracht. Einige Beispiele daraus:
- „Medienarbeit: eine alle Seiten einbeziehende Berichterstattung zur Lage an bestimmten Brennpunkten ist Teil des Dialogs, daher muss sie gefordert und gefördert werden.“
- „Räumliche Gestaltung zur Kommunikationsförderung und/oder zumindest friedlichen Nutzung von unterschiedlichen Gruppen nebeneinander. […] z.B. niederschwellige Anlaufstelle, Trinkerstube, mobiles Straßencafé, fahrende Anlaufstelle, multiprofessioneller Infostand etc.“
- „Denkbar ist der Anstoß zur Selbstorganisation z.B. in Form einer Art Peer-Education; Durch „Peers“ könnten aus einer Gruppe heraus gemeinsam vereinbarte Verhaltensregeln zur Einhaltung gebracht werden oder ausbalanciert werden.“
Bei all diesen Vorschlägen ist es allerdings wichtig zu bedenken, dass es sich nur um Überlegungen und nicht um konkrete oder geprüfte Konzepte handelt. Auch die Bereitschaft der politischen Verantwortlichen zur Umsetzung von derartigen Maßnahmen lässt noch auf sich warten. Das kürzlich ausgeweitete Alkoholverbot kann jedenfalls nicht als Schritt in die richtige Richtung gewertet werden. Ein Verbot kann Probleme höchstens verlagern, jedoch keineswegs zur Lösung beitragen. Vertreibung bestimmter Personen(gruppen) führt zu deren Vereinsamung. Und nimmt ihnen die letzte Chance, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Wir haben uns im Stadtpark umgehört! Hier geht’s zum Videospot!
Herzlichen Dank an Frau Mag.a (FH) Gabriella Fassold, Sozialarbeiterin im Caritas-Kontaktladen für das Interview.
Weiterführende Links
Turbulenzen um das neue Alkoholverbot (Kleine Zeitung, 03.05.2012)
PINTO – Prävention, Intervention, Toleranz (Stadt Bern, 14.07.2011)
Sicherheit Intervention Prävention (Stadt Zürich)
Gemeinsame Anlaufstelle Bonner Innenstadt – G.A.B.I. (Stadt Bonn)